Ostfriesensünde
aus der Sache eine ganz
normale Ehe, die nur ein bisschen komisch begonnen hatte. Aber die anderen neun genossen, dass eine Frau ihnen vierzehn Tage lang völlig ausgeliefert war und sich abrackerte, um alle Prüfungen zu bestehen, für die es keine Regeln gab. Am Ende der vierzehn Tage wurden sie dann zu Stenger zurückgebracht. Dort fand dann, meist schon im Büro, gleich ein glatter Austausch statt.«
»Aber warum? Wo ist der Sinn?«
Beukelzoon erhob sich und ging zu Ann Kathrins Bücherschrank. Er fuhr mit dem Finger an den Buchrücken entlang und lächelte.
»Sie sammeln Bilderbücher?«
»Ja. Kinderbücher.«
»Glauben Sie mir, Frau Klaasen, die Menschen sind nicht gut. Die Geld-Zurückgabe-Garantie und das Umtauschen der Frauen war Teil des Konzepts. Stenger verkaufte den Männer etwas, das es nicht gibt: die unterwürfige Frau, die nur ein einziges Lebensziel hat. Das, ihren Mann glücklich zu machen, keinerlei andere Eigeninteressen. Da es solche Frauen auch in Thailand, auf den Philippinen und im sonstigen Rest der Welt meiner Erfahrung nach gar nicht gibt, musste das Produkt, das Stenger verkaufte, erst hergestellt werden. Ich habe Frauen gesehen, die zum dritten oder vierten Mal umgetauscht wurden. Sie wussten, die Uhr tickt. In drei Monaten bin ich entweder verheiratet oder ich fliege aus Deutschland raus. So waren, ja, so sind die Gesetze. Dann komme ich nach Hause, nicht nur als eine, die versagt hat, sondern auch noch als ein gefallenes Mädchen. Kein Mann wird mich in meinem Land mehr nehmen. Und mein Vater hat auch noch Schulden. Statt meiner Familie zu helfen, habe ich sie ins Unglück gestürzt. Einige dieser Frauen sahen aus wie Zombies. Sie bewegten sich verlangsamt, wie Menschen, wenn sie schwere Beruhigungstabletten genommen haben. Sie taten, was man ihnen sagte, und wurden zu devoten, treuen Sexspielzeugen
oder Putzfrauen, je nachdem, was sich der Käufer so vorstellte. Ihr Vater sagte oft, die Seelen dieser Frauen seien gebrochen worden.«
»Und was haben Sie dagegen unternommen?«
»Stellen Sie sich das nicht so leicht vor, Frau Kollegin. Das Ganze fand im Rahmen der Gesetze statt. Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutz des Staates. Es ging hier um Ehevermittlung. Scheinbar war alles freiwillig. Natürlich hatte das viel mit Gewalt zu tun, aber es ist eine strukturelle Gewalt, die von einem reichen Land gegen ein armes Land ausgeht. Die Urkunden«, er winkte ab, »ach, das ist doch eher ein Witz. Natürlich waren die Dinger nicht einklagbar. Man kann ja schlecht zur Verbraucherschutzzentrale rennen und sagen, ich hab mir eine Frau bestellt, und jetzt kann ich sie nicht umtauschen. Die Urkunden dienten mehr zur Beruhigung der Kunden. Menschenhandel konnte ihm nicht nachgewiesen werden. Er hat all seine Leute eingeschworen und ihnen klare Regeln gesagt. Die goldenen Regeln des Frauenhandels lauten: Erstens: Schlage nie eine Frau in der Öffentlichkeit. Zweitens: Setz sie nicht unter Drogen. Und drittens: Zahle immer pünktlich deine Steuern.
Ja, da staunen Sie, was? Alle Organisationen um Stenger herum waren offizielle Firmen. GmbHs, GbRs, je nachdem. Und sie alle zahlten Steuern. Ihr Vater und ich auch.«
»Was soll das heißen, mein Vater und Sie auch?«
»Na, wie sollten wir denn an ihn herankommen? Sollten wir uns dort melden und sagen, guten Tag, wir sind Zielfahnder vom BKA , würden Sie uns bitte mal einen Fragebogen ausfüllen? Ihr Vater und ich, wir haben eine Firma gegründet und für Stenger gearbeitet. Und wir waren gut. Sehr gut.«
Ann Kathrins Haut begann am ganzen Körper gleichzeitig zu jucken. Am schlimmsten an den Oberschenkeln und am rechten Knie. Sie konnte die Hände nicht ruhig halten, sie musste sich
kratzen, obwohl Wellers Bademantel dabei über ihren Beinen bedenklich weit auseinanderrutschte.
Beukelzoon schien das nicht zu beachten. Er war jetzt ganz in seinen Erinnerungen und ließ sie wieder auferstehen. Er hatte die Ruhe und überlegene Gelassenheit verloren.
»Stenger beschaffte die Frauen und wickelte die ganzen Geschäfte offiziell ab. Wir waren sozusagen mit unserer Firma nur Vertreter eines Franchiseunternehmens. Unsere Provisionen haben sich jeden Monat neu berechnet. Dreißig Prozent für die erste verkaufte Frau, fünfunddreißig für die zweite, vierzig für die dritte und über fünfzig Prozent ging es nicht hinaus. Im nächsten Monat fing man natürlich wieder bei dreißig Prozent an. So hielt der seine Jungs am Arbeiten. Die
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