Ostfriesensünde
Ihnen treffe.«
Kann das wirklich sein, dachte Ann Kathrin, hat Isolde Klocke ihren Tod vor Spiekeroog nur vorgetäuscht, um unterzutauchen, so wie Beukelzoon seine Spuren verwischt hat? Wie konnte sie ihrer Mutter das antun?
Ann Kathrin formulierte die Frage: »Ich glaube Ihnen nicht. Ich will Beweise.«
»Beweise?«
»Ja. Ihre Mutter lebte noch. Wie konnten Sie ihr das antun? Man täuscht doch nicht seiner eigenen Mutter den Tod vor.«
»Sie haben ja keine Ahnung, mein Kind. Keine Ahnung. Ich sage es Ihnen im Guten: Hören Sie verdammt nochmal auf und löschen Sie diesen Mist auf den Gelsenkirchener Geschichten.«
Die Frau legte auf.
Ann Kathrin saß ganz still am Schreibtisch und ließ die Worte Revue passieren. Sie notierte jeden Satz, an den sie sich erinnerte. Sie wollte jetzt keinen Fehler machen.
Auf ihrem Display war keine Anrufernummer zu erkennen. Die Frau hatte von einem Bahnhof aus angerufen oder von
einem Flughafen. Im Hintergrund waren Geräusche gewesen wie von Menschen in einer Halle. Da gab es eine Durchsage. Ann Kathrin glaubte, sich an Hamburg oder Hamborn oder auch nur Hamm zu erinnern.
Ann Kathrin lief runter zu Weller und Huberkran. Mit kurzen Worten berichtete sie, was geschehen war. Schon hatten beide ihre Handys am Ohr. Huberkran ließ feststellen, woher der Anruf gekommen war, und Weller informierte Ubbo Heide über das merkwürdige Ereignis.
Der hatte sofort eine Erklärung. Da versuche jemand, Ann Kathrin aufs Kreuz zu legen.
»Das ist der typische unlogische Quatsch, den anonyme Verschwörungstheoretiker so gerne verbreiten.« Er äffte eine verzerrte Stimme nach: »Die Flugzeuge sind gar nicht in die Twin Towers geflogen. Die ganze Nummer am World Trade Center wurde vom CIA inszeniert.« Jetzt sprach er normal weiter: »Mensch, Weller, ich muss mich doch sehr wundern, dass Ann Kathrin auf solchen Blödsinn hereinfällt. Stell dir das doch mal vor, in der Konsequenz würde es bedeuten, Isolde Klocke täuscht ihren Tod vor, verzichtet auf ihre Pension und lässt ihre Mutter in dem Glauben, sie sei tot. Als Ann Kathrin die Mutter trifft, wird sie umgebracht … Wenn das alles so geschehen ist, lasse ich mich pensionieren.«
Der Gedanke kam Weller erst jetzt im Gespräch: »Na und wenn die gute alte Dame Bescheid wusste und uns alle reingelegt hat, um ihre Tochter zu schützen?«
Ubbo Heide ging darauf nicht ein, er fragte stattdessen: »Und wie läuft es mit eurer SOKO ? Ich habe großes Interesse daran, dass ihr rasch erfolgreich seid. Mir schwimmen hier die Felle weg. Die Touristen fluten Ostfriesland. Wir haben eine Messerstecherei auf Borkum, an der Promenade gegenüber von Leo’s hat jemand die Band attackiert. So schlecht spielen die doch eigentlich gar nicht. Ich habe einen Mordversuch, vier Körperverletzungen
und … Ich brauch euch zurück, Weller. Ich kann hier im Sommer nicht auf meine besten Leute verzichten.«
»Kannst du das noch einmal sagen?«
»Was?«
»Deine besten Leute.«
»Ja, wenn du willst. Es bleibt aber unter uns. Meine besten Leute.«
Weller beruhigte Ubbo Heide: »Borkum gehört zum Kreis Leer. Mit der Messerstecherei haben wir nichts zu tun.«
»Die Kollegen haben aber wegen der Schwere des Delikts Verstärkung angefordert. Die wilden Messerhelden rennen noch auf der Insel herum. Und gerade kriege ich die Meldung rein, dass in Leer ein Frauenarzt entführt wurde. Mensch, es brennt!«
»Ein Frauenarzt entführt? Ist das der, der schon mal angeblich entführt wurde und dann doch nur mit seiner Geliebten durchgebrannt war?«
»Ja, genau der, aber diesmal ist seine Praxis voller Patientinnen und er ist zu zwei OPs nicht erschienen. Lasst mich nicht länger hängen.«
»Der Anruf kam aus einer Telefonzelle im Gelsenkirchener Hauptbahnhof«, stellte Huberkran fest.
Mehr wollte Weller gar nicht wissen. Er berührte Ann Kathrins Arm, um sicher zu sein, dass sie ihm zuhörte. »Da will dich einer verarschen, Ann, und das wird nicht der Letzte sein.«
»Ihr solltet eure Nummer wechseln«, schlug Huberkran vor.
Ann Kathrin ging wortlos ins Schlafzimmer und begann ihren Koffer zu packen. Weller stand im Türrahmen und sah ihr zu. Ohne groß nachzudenken, wie lange sie bleiben wollte, wie sich das Wetter entwickeln würde oder welche Kleidung zusammenpasste, warf sie scheinbar wahllos Sachen in den roten Samsonite mit vier Rädern. Unterwäsche, T-Shirts, eine Jeans, Sandalen, Winterstiefel.
»Ja«, sagte Weller, »genauso würde ich auch packen,
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