Ostseefluch
bringen. In der vierundzwanzigsten Woche! Sie haben es eine ›stille Geburt‹ genannt! Seitdem ist Nina in der Klinik. Sie hat schon zweimal versucht, sich umzubringen. Mittlerweile ist sie in der Geschlossenen. Die Ärzte sagen ... ihr Arzt sagt, dass sie wohl nie wieder ein normales Leben führen kann.«
Nina Schrader!, durchfuhr es Pia. Laut sagte sie: »Das tut mir leid. Aber ein Mord ist keine Lösung. Man kann die Dinge nicht ungeschehen machen.«
»Ungeschehen! Es geht um Gerechtigkeit, nur darum.«
»Und was habe ich damit zu tun?«
»Du weißt zu viel. Du hättest eben nicht mit Helge reden dürfen.«
»Das Gespräch mit Helge Bittner war in etwa so aufschlussreich wie das Tageshoroskop.«
»Abgesehen von Patrick Grieger ist er der Einzige, der das von Nina weiß: was mit ihr passiert ist und wer Schuld daran hat.«
Es war nicht gut, dass er ihr das nun so freimütig erzählte ... »Mich umzubringen nützt gar nichts«, entgegnete Pia. »Ich hab das Gespräch mit diesem Bittner aufgezeichnet. Das Band ist im Büro hinterlegt.« Die Notizen, die sie sich gemacht hatte, befanden sich noch in ihrer Handtasche, die im Flur am Haken hing.
»Das glaube ich nicht.« Doch Ebel wirkte verunsichert.
»Es ist wahr. Und die Spuren, die du hier hinterlässt, werden dich, sollte mir etwas zustoßen, lebenslang in den Knast befördern.«
Der letzte Hinweis zauberte ein zufriedenes Grinsen auf Ebels Gesicht. »Ach, ja? Wenn du dich da mal nicht täuschst! Ich hab an alles gedacht«, sagte er, offensichtlich angetan von seiner vermeintlichen Voraussicht. »Ich habe etwas Dreck aus Andersens Staubsaugerbeutel mitgebracht. Mülltonnen können recht ergiebig sein. Und auf dem Hammer hier sind Andersens Fingerabdrücke, er stammt nämlich aus seiner Garage.«
Wie unglaublich eitel und von sich überzeugt er ist!, dachte Pia noch. Da holte Ebel aus und schwang den Hammer durch die Luft. Wenn sie versuchte, ihn mit den Armen abzuwehren, wären ihre Handgelenke im Nu zertrümmert. Sie riss den Küchenstuhl hoch. Der Hammer traf krachend auf die Sitzfläche und blieb darin stecken. Ebel riss am Griff. Pia drückte den Stuhl mit Wucht nach vorn, sodass ihr Angreifer nach hinten taumelte. Er stieß so hart gegen das Wandregal, dass die Becher darauf auf ihn herunterkrachten. Doch der Schmerz schien ihn nur weiter anzustacheln.
Pia warf den Stuhl in Ebels Richtung, umrundete den Küchentisch und versuchte, zur Tür hinauszukommen. Er fluchte, sie hörte den Stuhl splittern. Im Flur musste sie sich entscheiden: Sollte sie wirklich aus der Wohnung laufen? Felix in Stich lassen? Kam nicht infrage. Das Wohnzimmer? Eine Sackgasse, keine Waffen, um sich zu verteidigen. Das Schlafzimmer? Nein, sie würde ihn nicht auf Felix aufmerksam machen! Und auch die Klotür aus Pressspan würde einem Zimmermannshammer keinen nennenswerten Widerstand leisten können. Im Flur war nichts greifbar, mit dem sie sich verteidigen konnte ... Shit, shit, shit!
Jesko Ebel kam langsam aus der Küche und fixierte Pia; den Hammer schwang er locker hin und her. Konzentriert. Sogar Mordlust wäre besser als diese kalte Entschlossenheit.
»Mach jetzt besser keinen Fehler«, sagte sie. »Noch ist nichts passiert.«
Er stürzte sich auf sie, den Hammer erneut zum Schlag erhoben. Pia wich im letzten Moment zur Seite aus, packte Ebels rechten Arm, drehte sich und riss ihn mit sich. Sie fielen beide mit lautem Poltern zu Boden. Doch wenn sie gehofft hatte, sich damit einen Vorteil zu verschaffen, hatte sie sich getäuscht. Jesko Ebel fing sich ebenso geschickt ab wie sie. Und er war schnell, viel zu schnell. Pia spürte seine Hände an ihrem Hals. Sie trat, versuchte, seine Arme wegzuhebeln und sich unter ihm wegzudrehen. Ganz im Hintergrund ihres Bewusstseins nahm sie ein Geräusch im Treppenhaus wahr. Sie schrie und stieß Ebel ihr Knie zwischen die Beine. Offenbar hatte sie die richtige Stelle getroffen, denn er stöhnte auf, und sein Griff lockerte sich. Wo war der Hammer? Jemand rüttelte an der Türklinke.
Ein splitterndes Krachen. Pia drehte sich schutzsuchend zur Seite. Licht flammte auf, und sie spürte einen kühlen Luftzug.
Lars konnte kaum glauben, dass er die Tür eingetreten hatte.
»Das war filmreif«, bestätigte Pias Vermieterin Susanne, die von dem Krach im Hausflur aus ihrer Wohnung ins Dachgeschoss hinaufgelockt worden war. Ihrer Schilderung nach war sie just in dem Moment oben auf dem Treppenabsatz erschienen, als Lars zugetreten
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