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Ostseefluch

Titel: Ostseefluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Almstädt
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noch einen Schluck. Drückte auf Replay .
    Wieder das Kinderfest. Das Jahr 1985. Das Todesjahr seiner Eltern und Schwestern.
    Das Jahr, in dem er zum Waisenkind geworden war. Weggegeben in eine fremde Familie, in eine neue Identität.
    Er zuckte zusammen, als das Telefon klingelte. »Andersen.«
    »Da sind Sie ja endlich, Andersen! Haben Sie sich den Film schon angesehen?« Eine Männerstimme.
    »Was soll das?«, gab er aufgebracht zurück. »Wer sind Sie?«
    »Ich habe Informationen, die Sie interessieren dürften.«
    »Solange Sie mir nicht sagen, wer Sie sind, bin ich nicht bereit, Ihnen zuzuhören.«
    Im Hintergrund waren Geräusche zu hören, als telefonierte der andere aus einer vollen Kneipe. »Wollen Sie Ihr Leben lang das Kind eines Mörders sein?«
    »Woher haben Sie den Film?«
    »Ein paar Nachforschungen ... Es gibt noch viel mehr Hinweise. Hinweise darauf, dass Ihr Vater nicht Ihre Familie umgebracht hat.«
    »Ich glaube Ihnen kein Wort.«
    »Wirklich?«
    »Und überhaupt. Das ist Sache der Polizei.«
    Der andere schnaubte. »Was glauben Sie denn, wer damals die Aufklärung verpfuscht hat? Meinen Sie, dass Sie denen trauen können? Selbst wenn da jetzt andere am Hebel sitzen, eine Krähe pickt der anderen kein Auge aus.«
    »Was wollen Sie?«
    »Ihnen helfen zu beweisen, dass Ihr Vater unschuldig war.«
    »Woher wissen Sie das?«
    »Ich interessiere mich für den Fall. Ich habe Nachforschungen angestellt, das sagte ich doch schon.«
    »Was haben Sie herausgefunden?«
    »Wir treffen uns um halb zehn Uhr bei mir zu Hause. Rohwedders Gang in Lübeck.«
    »Was? Nein! Wieso?«
    »Es ist Ihre einzige Chance.« Er wiederholte die Adresse und nannte auch die Hausnummer. Und dann: »Ich wohne ganz oben. Die Haustür unten wird nicht abgeschlossen sein. Kommen Sie einfach hoch. Fühlen Sie sich ganz wie zu Hause.«
    Andersen wollte protestieren, aber das Gespräch wurde unterbrochen.
    Pia betrachtete ihren schlafenden Sohn. Er sah so zufrieden aus. Die letzten Nächte in der schwülen Hitze hatte er unruhig geschlafen und sie mehrmals geweckt. Vielleicht lief es heute besser. Sie träumte seit Wochen davon, endlich einmal wieder sechs Stunden am Stück zu schlafen ... Günther, ihr Stiefvater, hatte den ganzen Nachmittag mit Felix herumgetobt, und ihre Mutter hatte ihn abends in der großen Badewanne gebadet. Pia selbst besaß nur eine Dusche mit niedriger Duschwanne, und der Kinderwanne war Felix schon entwachsen.
    Sie beugte sich über das Gitterbett und küsste ihren Sohn auf das weiche, schon ziemlich lange Haar. Er duftete gut, ein bisschen nach Aprikose und Vanille. Im Gegensatz zu ihr selbst ...
    Sie zog sich aus und ließ die verschwitzten Kleidungsstücke nach und nach auf den Fußboden fallen. Dann ging sie hinüber in die Küche. Sie hatte ihrem Bruder immer noch nicht wegen der Wohnung Bescheid gesagt. Toms und Marlenes Dreizimmerwohnung verfügte über ein richtiges Badezimmer mit einem Fenster! Sie würde hier ohnehin über kurz oder lang ausziehen müssen, auch wenn es ihr schwerfiel.
    Die Tür zum Küchenbalkon stand offen. Nach dem Gewitter roch die Luft nach Sommer, mit der grünen, leicht erdigen Note, die Regen mit sich brachte. Es hatte sich abgekühlt, aber es waren bestimmt noch zwanzig Grad draußen. Pia ging unter die Dusche, ohne Licht anzuschalten. Obwohl ... Sie hätte ruhig Festbeleuchtung haben können, schließlich konnten allenfalls Tauben und eventuell die Crew eines Hubschraubers in ihre Dachwohnung im zweiten Stock hereinschauen.
    Sie drehte den Wasserstrahl voll auf und schloss einen Moment die Augen. Das heiße Wasser spülte nicht nur den Schmutz von ihr ab, sondern schien auch die Sorgen und Aufregungen des Tages abzuwaschen. Als sie aus der Duschkabine trat, fühlte Pia sich sauber, erfrischt ... und seltsam leer. Irgendwas fehlte. Sie probierte es mit einem Schluck Wodka mit Orangensaft. Das war es nicht. Im Kühlschrank fand sich noch ein Quark mit Früchten. Pia aß ein paar Löffel und stellte den Becher unzufrieden wieder zurück. Lohnte es sich noch, sich wieder etwas Frisches anzuziehen, oder war der Tag sowieso gelaufen? Es war erst kurz nach neun. An Schlaf war jedenfalls noch nicht zu denken. Joggen würde helfen, Adrenalin abzubauen. Aber sie wollte Felix auf keinen Fall allein lassen. Nicht einmal, wenn Susanne im Erdgeschoss das Babyfon hätte.
    Pias Blick fiel auf das Telefon. Sie wusste, was ihr fehlte. Weib, dein Name ist Schwachheit. Wieso eigentlich nicht?

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