Ostseefluch
Stufen knarrten unter ihrem Gewicht. Irma war so eine Heuchlerin! Es schüttelte ihn.
Hatte Milena Angst gehabt? Er konnte sich nicht mehr genau an alles erinnern, was vorgefallen war. Genau genommen setzte sich der Morgen für ihn nur noch aus bruchstückhaften Szenen zusammen. Als er Milena verlassen hatte, war sie wütend auf ihn gewesen. So viel wusste er immerhin noch.
Er hörte Irmas schwere Schritte auf den Dielen über sich. Der Wind heulte im Kamin, und ein Fensterflügel im Obergeschoss klapperte. Kam jetzt das ersehnte Gewitter, das dieser Scheißhitze endlich ein Ende bereitete?
Patrick schaute noch mal aus dem Fenster. Das Licht sah jetzt fast unwirklich aus: gelblich und fahl. Er beobachtete, wie eine Bö unter das Zelt fuhr, das die Polizeibeamten vorhin über Milenas totem Körper aufgestellt hatten. Sie selbst war inzwischen längst weggebracht worden. Nur das verdammte Ding stand noch da. Die weiße Plane blähte sich, es gab einen Ruck, und sie schlug zur Seite weg. Patrick Grieger lächelte. Er lächelte, bis etwas mit einem leisen »Tock« gegen die Hintertür flog.
4. Kapitel
P ia saß an diesem Abend mit ihrer Freundin Susanne Herbold zusammen. Die beiden hatten sich zu einem Feierabendbier in Susannes Hinterhofgarten getroffen. Die Luft war schwül. Durch die Straßen wehte ein warmer Wind, doch zwischen den Häusern stand die Luft still wie in einem Terrarium. Pia hob die kalte Flasche, einen Moment unentschlossen, ob sie sich die kühle Flüssigkeit in den Mund oder doch lieber in den Ausschnitt kippen sollte.
»Du hast dich ganz schön verbrannt heute«, stellte Susanne mit dem kritischen Blick der Ärztin fest. »Soll ich dir eine Salbe dafür geben?«
Pia legte den Handrücken an ihre Stirn. Die Haut fühlte sich immer noch heiß an. »Ich dachte, Quark hilft.«
»Hast du denn Quark im Kühlschrank?«
Sie schüttelte den Kopf. »Mein Kühlschrank ist so gut wie leer. Ich bin vorhin erst von Fehmarn zurückgekommen. Da wollte ich nicht noch mit einem hungrigen Kind durch den Supermarkt laufen.«
»Es gibt Geschäfte, die auch liefern, weißt du.«
Pia winkte ab. »Morgen hab ich ja frei.«
»Ich denke, du arbeitest an einem neuen Fall?«
»Ja. Aber ab und zu geschieht auch mal ein Wunder. Wir haben im Kommissariat Verstärkung bekommen. Einer von denen war heute schon da. Und es soll noch jemand kommen. Eine Frau.«
»Wird ja auch Zeit«, meinte Susanne nur.
Pia nickte und trank noch einen Schluck. Das Babyfon auf dem Tisch knarzte, als Felix im Schlaf einen Laut von sich gab. Pia lauschte, entspannte sich dann jedoch wieder.
»Ich möchte dich nicht gern als Mieterin verlieren, Pia. Aber wenn du was Neues in Aussicht hast, würde ich es gern rechtzeitig wissen.« Susanne Herbold war nicht nur eine Freundin, sondern auch Pias Vermieterin. Sie wohnte im Erdgeschoss des Altstadthauses im Gängeviertel. Im ersten Stock lebte seit ein paar Jahren Andrej Sergjewitsch Marojoff mit seiner Katze, Pia hatte die Wohnung unter dem Dach gemietet. Sie liebte ihr Krähennest mit Blick über die Dächer Lübecks, aber mit Felix zusammen wurde es langsam zu eng.
»Hast du schon einen Interessenten für meine Wohnung?«
Susanne fuhr mit dem Zeigefinger an ihrem Glas entlang und fing einen Tropfen auf, bevor er die Tischplatte erreichte. »Nur eine Anfrage.«
Klar, Wohnungen in der Altstadt, noch dazu in der Nähe der Obertrave, waren beliebt. »Wenn ich was Neues hab, erfährst du es als Erste«, versprach Pia. Nicht, dass sie glaubte, so schnell fündig zu werden. Sie hatte sich im Frühjahr einige Wohnungen angesehen, aber es war nichts dabei gewesen, das sie ernsthaft in Betracht gezogen hatte. »Ich bin am Wochenende übrigens auf einer Party eingeladen.« Sie lächelte ironisch. »Bei Tom und Marlene ...«
»Deinem Bruder?«
»Hm-m. Er will etwas Wichtiges mit mir besprechen. Keine Ahnung, warum das ausgerechnet auf seiner Feier passieren soll.«
»Und ich dachte schon, du wolltest dich mal amüsieren, Pia.«
Sie zog eine Augenbraue hoch. Das war eines ihrer Dauerthemen in letzter Zeit: Susanne, die seit ein paar Monaten wieder eine feste Beziehung hatte, setzte Pia zu, mehr unter Menschen zu gehen. Als wäre ihr Liebesglück erst perfekt, wenn auch ihre Freundin wieder in festen Händen war. Doch Pia stand nicht der Sinn nach unverbindlichen Affären. Und für eine feste Beziehung, so meinte sie, hatte sie gerade weder den Nerv noch die Zeit. Das Brummen ihres Mobiltelefons
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