Ostseefluch
das Letzte, was er jetzt brauchte. Patrick wollte sich gerade an den beiden vorbei in Richtung Tür verdrücken, als Irma sich von ihrem Freund losmachte.
»Du bleibst, wo du bist, Patrick. Wir müssen reden«, befahl sie.
Patrick fühlte sich nicht mehr in der Lage, ihr etwas entgegenzusetzen. Und sie hatte recht: Sie mussten reden.
»Wer will einen?« Irma schwenkte mit grimmigem Lächeln eine Flasche Aquavit. Die beiden Männer nickten. »Warum kommst du erst jetzt, Arne, wenn du längst weißt, was passiert ist?«, fragte Irma in schneidendem Tonfall. Sie verteilte Gläser und schenkte ein.
»Und von wem weißt du es?«, mischte sich Patrick ein. Sie alle vermieden das Wort »Tod«, als könnten sie ihn damit noch eine Weile in Schach halten ...
Arne kippte seinen Schnaps hinunter. »Ich war heute bei Degensen auf der Baustelle und hab den Keller verputzt. Am späten Nachmittag wollte ich mir in Puttgarden noch ’ne Currywurst holen.« Er vermied es, Irma anzusehen, die ihm jeden Morgen Brote schmierte, um ihn nicht der Versuchung durch »teuflisches Fastfood« auszusetzen. »Und wie ich da stehe, kommt der Paulsen auf mich zu und erzählt es mir. Er ist ein Freund vom Schorse. Und der wusste es von seiner Schwiegertochter, weil der Cousin von der nämlich bei den Bullen ist.«
Scheiß Inselklatsch!, dachte Patrick. Dann war der Cousin bestimmt auch im Garten gewesen und hatte Milena angegafft.
»Und da bist du nicht sofort nach Hause gekommen?«, entgegnete Irma eisig.
»Ich ... ich wollte nicht ...«, stammelte Arne und schielte zur Schnapsflasche.
»Die Polizei will natürlich auch mit dir reden.« Irma warf Patrick einen Seitenblick zu. »Du sollst morgen nach Lübeck fahren und eine Aussage machen, Arne.«
»Ich weiß nichts über diese Sache ... oder über Milena. Ich war doch überhaupt nicht hier!«
Patrick dachte unbehaglich an den einen oder anderen Tag, an dem Arne wohl keine Lust mehr gehabt hatte zu arbeiten und unvermutet im Haus aufgetaucht war. Das letzte Mal hatten Milena und er gerade eine kleine Nummer in der Hängematte unter den Apfelbäumen geschoben. Als hätte Arne es darauf abgesehen, sie zu erwischen ... Irma hatte nie etwas davon mitbekommen, weil sie tagein, tagaus in ihrem Laden war. Für sie war Arne der Fleiß in Person, so unermüdlich wie er für irgendwelche Leute Häuser baute oder renovierte. Schwarz natürlich, die Kohle immer cash auf die Kralle, und Arne dabei ständig auf dem Sprung.
Patrick sah auf Arnes Hand, die das leere Schnapsglas auf dem Tisch hin- und herschob. Die Kratzer auf dem Handrücken leuchteten dunkelrot. Keine von Irmas Tinkturen oder Breiumschlägen würde die bis morgen früh zum Abheilen bringen können. Woher diese Kratzer kamen, würde die Polizei interessieren. Und ebenso die drei Punkte, die zwischen Daumen und Zeigefinger von Arnes rechter Hand tätowiert waren.
»Du lässt doch diese Spinner nicht etwa unter deinem Dach schlafen?«, fragte Kuno, Kellner in der Admiralsstube , einer Burgstaakener Kneipe und Gaststätte mit angeschlossener Fremdenpension. Er blickte wieder misstrauisch in den Schankraum.
»Wieso nicht? Wenn sie ihre Rechnung bezahlen?«, hielt Gerlinde, seine Chefin, ihm entgegen.
»Nach dem, was heute in Weschendorf passiert ist? Ein Mord auf unserer Insel.«
Gerlinde zuckte mit den runden Schultern. »Kann ich was dran ändern?« Die Wirtin musterte die Gäste, die sich in der hintersten Ecke der Kneipe niedergelassen hatten, wohlwollend. Vor einer halben Stunde hatten die drei je ein Fremdenzimmer bezogen, ohne sich über die Toilette auf dem Gang oder die verschlissenen Teppichböden zu mokieren. Und nun warteten sie auf ihr bestelltes Essen. Wunderbar. Wein, eine Cola und ein Bier standen schon vor ihnen auf dem Tisch. Seit dem Rauchverbot liefen die Geschäfte schleppend. Gerlinde freute sich über jeden zahlenden Gast. »Sie sehen mir nicht gerade wie Zechpreller aus«, urteilte sie mit geübtem Auge. »Oder wie Killer.« Sie lächelte süffisant.
»Aber normale Urlauber sind es auch nicht«, grummelte Kuno, der die drei bedient hatte. »Die ham ’se doch nicht mehr alle.«
»Satanisten«, sagte Gerlinde. »Kennt man doch aus dem Fernsehen. Dieser ganze Vampirkram und so. Meine Nichte ist auch verrückt danach. Ist doch vollkommen harmlos ...«
»Gerlinde, deine Nichte ist zwölf. Das hier sind erwachsene Leute, und der Mann sieht aus wie Dracula persönlich. Er hat ein Kreuz um den Hals, so groß, als
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