Ostseefluch
aber da hatte sie noch an den nahen Komposthaufen und den Hundezwinger gedacht.
Doch dies hier war etwas anderes: Hier verweste was. Ein Tier. Vielleicht eine Ratte oder etwas Größeres? Ein Marder oder eine Katze? Ihre Nachbarn hatten eine hochbetagte Katze mit struppigem Fell und Hängebauch, aber die alten Leute hingen an dem Tier. Besser, sie sah jetzt nach, bevor in der Hitze ... Nein, sie wollte es sich nicht vorstellen!
Judith ging zwischen den beiden Autos zur Rückwand, wo die Winterreifen aufeinandergestapelt lagen und zwei Fahrräder und ein Werkzeugregal standen. Warm, wärmer, heiß, heißer, dachte sie ironisch. Wie beim Topfschlagen auf Milenas Kindergeburtstagen. Milena! Nicht daran denken! Nicht jetzt. Judith lugte hinter den Reifenstapel. Hier irgendwo musste es sein. Faulig, süßlich, ekelhaft ... Es kam ... Ja, konnte es denn aus dem Land Rover kommen? Hatten die Hunde etwas mit reingeschleppt, was da nun vor sich hin gammelte? Aber das hätte sie doch sehen müssen? Nun, sie war an jenem Tag mit den Gedanken ganz woanders gewesen. Bei Milena. Nicht daran denken! Sie war abgelenkt gewesen, als sie mit den Hunden unterwegs gewesen war. Hatte sie etwa später ... Die Erinnerung an jenen Tag war wie ausgelöscht.
Judith drückte den Griff der Hecktür nach oben und zog sie auf.
8. Kapitel
S ie hielten in einer Seitenstraße, nicht weit von dem Haus entfernt, in dem Jesko Ebel wohnte. Der Autor oder Journalist, den Arne Klaasen bei seiner Vernehmung erwähnt hatte, lebte in Oldenburg in Holstein. Da das auf dem Weg nach Fehmarn lag, hatten Pia und Broders nach der Dienstbesprechung beschlossen, zuerst mit Ebel zu reden und von dort aus weiterzufahren. Auch Judith und Rudolf Ingwers sollten heute noch einmal befragt werden.
Pia klingelte. Sie standen im Seiteneingang eines schmalen Geschäftshauses in der Fußgängerzone, dessen untere Räume einen Schnellimbiss beherbergten. Darüber befanden sich, den handgeschriebenen Namensschildern zufolge, drei Wohnungen. Jesko Ebel, der auf Mordkuhlen erschienen war, um Recherchen über die Vergangenheit des Hauses anzustellen, wohnte unter dem Dach. Als der Summer ertönte, stieß Pia die Tür auf, und sie traten ein. Es roch durchdringend nach kaltem Frittierfett, auf den abschüssigen Stufen schien ein leichter Schmierfilm zu liegen.
Jesko Ebel erwartete sie auf dem obersten Treppenabsatz. Er war schätzungsweise Anfang dreißig, mit einem runden Gesicht und weichen Lippen. Sein Haar war blond und gewellt, er trug einen Dreitagebart. Ohne den hätte er wahrscheinlich ausgesehen wie Gustav Gans. Im Gegensatz zu seinem übrigen Äußeren wirkte seine Augenpartie desillusioniert und müde. Im Augenblick erweckte er nicht den Anschein, als hätte er schon viel Glück im Leben erfahren.
Ebel führte Pia und Broders ins Wohnzimmer und deutete auf ein schwarzes, geradliniges Sofa. »Nehmen Sie Platz. Möchten Sie vielleicht auch einen Kaffee?« Er schien der Polizei nun bereitwillig helfen zu wollen.
Am Telefon, als Pia den Termin vereinbart hatte, war er recht schroff gewesen.
Broders und Pia lehnten den Kaffee dankend ab.
»Na, dann nicht«, sagte Jesko Ebel mit einem Schulterzucken. »Ich brauch jetzt einen. Hab bis heute früh um vier gearbeitet. Wenn man an einem wichtigen Projekt sitzt, kann man manchmal kein Ende finden, wissen Sie.« Er verschwand und kehrte mit einer Thermoskanne und einem Becher zurück, die er vorsichtig auf einer Tageszeitung abstellte, die auf dem Glastisch lag.
»Wir ermitteln in einem Mordfall auf Fehmarn. Eine junge Frau ist dort vor zwei Tagen ums Leben gekommen. Sie haben sicher schon davon gehört oder gelesen.«
Er hob andeutungsweise die Schultern. »Klar, jeder in der Gegend hat davon gehört.«
»Kennen Sie das Haus auf Fehmarn, wo das Verbrechen begangen wurde? Personen, die möglicherweise in den Fall involviert sind?«, fragte Broders.
»Wir sprechen doch über Mordkuhlen, oder? Dort ist die junge Frau umgebracht worden. Sie wurde im Garten erschlagen. Und ganz zufällig ist es das Haus, über das ich gerade schreibe.« Er schenkte sich einen Kaffee ein. »Oder auch nicht zufällig«, setzte er mit gehobenen Augenbrauen hinzu.
»Waren Sie schon einmal dort?«
»Akribische Recherche ist das Herzstück des investigativen Journalismus. Ich bin freier Journalist und Autor.« Er nippte vorsichtig an seinem Kaffee.
»Wissen Sie noch, wann Sie da waren?«
Er nannte das Datum. Die Frage kam offenbar nicht
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