Ostseefluch
Instituten für Rechtsmedizin nicht haltgemacht hatten. Vieles dauerte länger als eigentlich nötig, und die Verzögerungen erschwerten die Ermittlungsarbeit. Ebenso nervte es Pia, dass sie immer noch nicht mehr als ein paar nichtssagende Sätze mit Rist gewechselt hatte. Sie waren jetzt nun einmal Kollegen. Wenn er immer noch sauer auf sie war, wollte sie es wenigstens wissen.
Pia sah zu Juliane Timmermann hinüber, dem zweiten Neuzugang im Kommissariat. Endlich eine weitere Frau. Noch dazu eine, die sie von früher kannte. Pia erinnerte sich an Juliane als eine umgängliche und lustige, manchmal etwas zu unbekümmerte Kollegin. Sie musste sich in mancher Hinsicht geändert haben, da sie ausgerechnet zum K1 versetzt worden war. Pia war gespannt, wie die Zusammenarbeit verlaufen würde.
Rist übernahm es, die Ergebnisse von Arne Klaasens Vernehmung an alle weiterzugeben. Er berichtete von dem nicht vorhandenen Alibi und der noch unklaren Beziehung Klaasens zu seiner Mitbewohnerin Milena Ingwers. Und er gab auch Arne Klaasens rätselhafte Andeutung wieder, dass auf dem Haus, in dem sie wohnten, ein Fluch liegen sollte. »Nicht, dass es irgendwelche Hinweise darauf gibt, dass der angebliche Fluch mit dem aktuellen Tötungsdelikt zusammenhängt. Aber wenn wir es hier schon mit so etwas Skurrilem wie einem Fluch zu tun haben, sollten wir wenigstens wissen, was es damit auf sich hat beziehungsweise was die Leute darüber denken.«
»Ja, das ist wohl leider unumgänglich. Reden Sie mit den Nachbarn. Finden Sie es heraus!«, sagte Gabler. »Noch etwas zu Arne Klaasen?«
Pia zögerte kurz. »Zum einen hatte er Kratzer auf dem Handrücken, die seiner Angabe nach von einem Dornenbusch herrühren. Der Rechtsmediziner, dem Klaasen noch kurz vorgestellt wurde, meinte, dass sei möglich. Zumindest seien es keine Kratzspuren von Fingernägeln. Außerdem hat Arne Klaasens vor fünfzehn Jahren eine Haftstrafe wegen Drogenbesitzes und gefährlicher Körperverletzung verbüßt.«
Manfred Rist warf ihr einen überraschten Blick zu, doch er hatte seine Mimik schnell wieder unter Kontrolle.
»Interessant, auch wenn es schon lange her ist.« Horst-Egon Gabler sah von Pia zu Rist. »Ist Klaasen in der Zwischenzeit noch mal aktenkundig geworden?«
»Nein. Seitdem nicht mehr«, sagte Pia. Sie bemerkte, dass Rist sie mit gerunzelter Stirn ansah.
Nachdem die neuen Aufgaben verteilt und die Besprechung beendet war, folgte Manfred Rist Pia in ihr Büro.
»Majestätsplural? ›Wir haben ...‹ Oder war das ein Versuch, mich nachträglich mit einzubeziehen? Warum hast du mich nicht gleich informiert?«
»Es ist mir erst abends, lange nach der Vernehmung, wieder eingefallen.«
»Was denn?«
»Klaasen hatte außer den Kratzern noch eine etwas undeutliche Tätowierung auf der Hand: drei Punkte zwischen Daumen und Zeigefinger. Sie ist mir nur aufgefallen, weil ich ihm ein Glas Wasser gegeben habe. Er hat während der Vernehmung die ganze Zeit versucht, dieses Tattoo vor uns zu verbergen. Als ich wieder daran gedacht habe, warst du schon nicht mehr im Kommissariat. Ich hab seinen Namen schnell noch mal durchs System gejagt, dabei bin ich fündig geworden. Und heute Morgen vor der Besprechung war keine Gelegenheit mehr, es dir zu sagen.«
»Es gibt Telefone.«
»Ich hab’s vergessen. Es ist doch nichts weiter passiert.« Aber es kam in letzter Zeit öfter vor, als ihr lieb war: Vergesslichkeit in Bezug auf eine Ermittlung. Das war eine Todsünde.
Er sah sie durchdringend an. »Und es ist nicht etwa so, dass du mir unseren kleinen Streich von damals übel nimmst?«
So herum wurde also ein Schuh daraus. Er befürchtete, sie könnte sauer auf ihn sein.
»Nein. Und überhaupt: Wenn einer dabei zu Schaden gekommen ist, dann warst das ja wohl eher du.«
»Erinnere mich nicht daran.«
Pia hatte tatsächlich ein schlechtes Gewissen. Nicht, weil sie ihm damals zwischen die Beine getreten hatte. Daran war er selbst – und zu einem noch größeren Teil Broders – schuld. Die beiden Kollegen hatten ihr einen Streich spielen wollen und Rist, der zu jener Zeit noch in einer anderen Abteilung gearbeitet hatte, als einen zur Fahndung ausgeschriebenen Vergewaltiger und Fassadenkletterer ausgegeben. Damals war Pia relativ neu im Kommissariat gewesen. Sie hatte ihnen die Geschichte abgenommen und versucht, Rist mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln am Entkommen zu hindern. Und das war schmerzhaft für ihn gewesen. Aber er hatte es ja
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