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Ostseefluch

Titel: Ostseefluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Almstädt
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provoziert. Jetzt die Erkundigungen über Arne Klaasen über Rists Kopf hinweg einzuziehen war jedoch nicht richtig gewesen. Hatte es tatsächlich nur an Zeitmangel und Stress gelegen, dass sie ihn nicht rechtzeitig informiert hatte?
    »Es sind doch wohl nach der Aktion damals keine langfristigen Schäden zurückgeblieben?«, fragte Pia, um von ihrem aktuellen Versäumnis abzulenken.
    »Sei vorsichtig, du ...«
    »Immerhin hab ich dir damals Eis besorgt. Viel Eis.«
    »Was war das mit dem Eis im Mittelteil?« Broders steckte den Kopf zur Tür herein.
    »Nichts«, sagte Manfred Rist.
    Pia winkte Broders herein. »Was gibt’s?«
    »Das Neueste: Frau Seibel hat uns gerade angerufen.« Heinz Broders sah prüfend von einem zum anderen. Ihm war wohl klar, dass er gerade etwas verpasst hatte. Als die beiden keine Anstalten machten, ihn einzuweihen, fuhr er fort: »Sie ist heute Morgen am Gartentor über eine Art Altar gestolpert.« Broders wippte auf den Fußballen vor und zurück.
    »Was?«
    »Kerzen, Blumen, Karten ... am Gartentor von Mordkuhlen. Alles für Milena.«
    Judith Ingwers ignorierte ihre schmerzenden Kniescheiben. Das war vergleichsweise einfach. Sie kniete vor dem Hauptaltar der St.-Nikolai-Kirche, den Kopf gesenkt, die Hände ineinander verschränkt. Nur still betend in einer der Kirchenbänke zu sitzen kam ihr in Anbetracht ihrer Gefühle nicht richtig vor. Ihr innerer Schmerz war allumfassend und grenzenlos. Er wühlte in ihren Eingeweiden und fraß sich von Minute zu Minute tiefer in sie hinein. Er tobte in ihrem Kopf und ließ ihre Augäpfel brennen. Sie fragte sich, ob ihr Herz dem Kummer standhalten würde oder ob es doch brechen würde.
    »Herr, dein Wille geschehe«, murmelte sie. Wenn es so sein sollte, wenn sie vor Trauer um ihre Tochter sterben sollte, so wäre das für sie in Ordnung. Jetzt. »Nimm mich zu dir, Herr!«, flüsterte sie. Sie verharrte ein paar Atemzüge lang und spürte ihr Herz schlagen.
    Milena war tot. Sie selbst lebte. Daran schien sich auch in den nächsten Minuten nichts zu ändern. Kein Stolpern, kein Flimmern, ihr Herz schlug kräftig und regelmäßig. Trotzig.
    Sie betete noch ein Vaterunser, doch der erhoffte Frieden stellte sich einfach nicht ein. Sie würde weitere Maßnahmen ergreifen müssen. Mehr beten, intensiver Zwiesprache halten, seinen Willen erkennen, sich von allen irdischen Wünschen und Eitelkeiten frei machen. Seine Dienerin sein. Er hatte ihre Tochter zu sich geholt. Milena war in Sicherheit. Konnte sie mehr für ihr Kind verlangen?
    Judith Ingwers hörte die Kirchturmuhr elf Mal schlagen. Sie sollte langsam nach Hause fahren und das Mittagessen vorbereiten. Für wen eigentlich? Rudolf würde bestimmt nicht heimkommen, sondern sich heute Abend höchstens ein Tellergericht aufwärmen wollen. Das Kochen war doch mehr Beschäftigungstherapie als alles andere.
    Sie wollte sich erheben und musste zu ihrem Entsetzen feststellen, dass sie dazu nicht in der Lage war. Die Beine versagten ihr den Dienst. Sie hatte einfach kein Gefühl mehr, und das leise Knirschen in den Gelenken verhieß auch nichts Gutes. Mit einem Stöhnen sank sie seitwärts auf den kalten Fußboden nieder; sie fühlte sich von ihrer eigenen Schwäche gedemütigt. Wie lange hatte sie hier gekniet? Eine Stunde? Zwei? Die Zeit bedeutete ihr nichts mehr.
    Sie legte die Stirn auf die Steinfliesen. Eine Träne tropfte auf den Boden, dann noch eine. Kein Selbstmitleid. Schon gar nicht hier, direkt unter dem Altarbild. Sie stemmte sich mit den Armen in eine sitzende Position und massierte die tauben Beine. Es kribbelte und stach, als das Gefühl zurückkehrte. Judith Ingwers kroch bis zu einem der Stühle, die vor der ersten Bankreihe standen, und zog sich langsam hoch, wobei sie sich fast in dem wadenlangen dunkelgrauen Rock verhedderte, den sie trotz der sommerlichen Temperaturen trug. »Se geiht in deep Sorg«, sagte man auf Fehmarn. »Sie trägt Sorge«: Trauerkleidung. Der schwere Stoff haftete an ihrem Körper wie die Schuld und die Angst, die sie immer weiter runterzogen. Irgendwann würde sie unten ankommen.
    Judith Ingwers hatte ihr Auto vorhin im Schatten der Bäume geparkt, doch inzwischen stand es in der prallen Sonne. Als sie einstieg, traf sie die warme Luft im Wageninneren wie ein Schlag. Sie keuchte. Nach den Stunden in der relativen Kühle der alten Kirche hatte sie die seit Tagen anhaltende Hitze fast vergessen gehabt. Seltsam.
    »Mörderisch«, murmelte sie und bekreuzigte sich

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