Ostseegrab
dass jetzt Sommer war. An ein Fest ohne sie wollte er noch gar nicht denken. Hanjo schloss den letzten Hemdknopf und warf einen Blick aus dem Fenster. Am Strand standen einige Menschen zusammen. Sie hatten keine Bretter oder Segel dabei. Hanjo wurde neugierig. Er nahm sein Fernglas und regulierte die Schärfe. Das war doch Broder Larrson! Polizei? Hanjo fröstelte. Und da war Fips. Die blonde Frau kannte er nicht. Sie sahen alle zu Boden. Er folgte ihrem Blick mit dem Feldstecher. Es war ein Körper in einem Neoprenanzug. Schon wieder eine Tote! Er schloss für einen Moment die Augen. Würden die Touristen nun ausbleiben? Hanjo schüttelte den Kopf. Es war wirklich nicht der Zeitpunkt, sich darüber Gedanken zu machen. Gebannt schaute er weiter durch das Glas. Ein großer Hund spielte mit einem Ast. Ein Typ, der wie ein Penner aussah, lief zum Wasser. Er musste auch Polizist sein. Das war doch der Mann von Tina Sperber. Aber arbeitete der nicht in Lübeck? Hanjo sah noch mal nach der Leiche. Jetzt konnte er ihren Kopf sehen, die blonden Haare. Tränen brannten in seinen Augen. Wieso musste ein junger Mensch sterben? Er musste sich zusammenreißen. Außerdem hatte er jede Menge zu tun. Er musste Kaffee und Eier kochen und das Buffet richten. Es lag ein anstrengender Tag vor ihm. Er atmete tief durch und stellte den Feldstecher zurück auf die Fensterbank. Er musste jetzt wirklich schleunigst in die Küche. So war die Ostsee eben. Bei Sonne fast wie ein Karibikstrand, im Winter mal glatt und mal rau und bei Nacht kalt. Hatte die Frau das etwa nicht gewusst?
5
Ben schloss die Hintertür ab. Wenn er sich verhalten wollte wie immer, dann musste er zu Olli. Der würde sich sonst sicher wundern. Vorher musste er aber noch zum Strand. Seit dem Tsunami hatte er jeden Morgen das Verlangen, einen Blick auf das Wasser zu werfen. Er musste sich vergewissern, dass alles normal aussah. Natürlich würde es hier nie eine Riesenwelle geben, doch er kam gegen seinen Kontrollzwang nicht an. Er blieb stehen: Wo kamen die beiden Autos auf einmal her? Der Audi war furchtbar dreckig und der VW Passat sah aus wie ein Polizeidienstwagen. Ben sah sich um. Weit und breit waren keine Bullen zu sehen. Er lief zum Deich. 50 Meter weiter standen ein paar Menschen, doch er konnte nichts Genaues erkennen. Sein Herz begann zu klopfen und sein Hals wurde trocken. Ben machte kehrt und rannte zurück zur Wiese. Olli saß auf den Eingangsstufen seines Wohnmobils und starrte in seinen Kaffeebecher.
»Schnell, komm mit! Da stimmt was nicht!«
Olli blickte auf und sah ihn müde an. Er sah furchtbar aus. Seine Augen waren knallrot. Olli musste stundenlang geheult und gesoffen haben. Ben fühlte sich schuldig. Was war er nur für ein Freund? Olli liebte Sarah. Und jetzt? Es hätte niemals so weit kommen dürfen.
»Hab zu viel getankt gestern. Alles wegen ihr«, murmelte Olli. »Mir gings noch nie so beschissen. Aber das war das letzte Mal.« Olli versuchte zu grinsen, doch sein Gesicht verzog sich nur zu einer grotesken Maske. »Was ist denn los?«
»Da sind Bullen am Strand!« Olli nickte, machte aber keine Anstalten aufzustehen. Ben wurde ungeduldig. »Willst du gar nicht wissen, was da los ist?«
»Sarah hat Schluss gemacht. Das ist los! Ich soll das einfach akzeptieren! So ein Scheiß! Da steckt doch ein anderer Kerl dahinter.«
»Das weißt du doch gar nicht! Und wenn sie dich wirklich beschissen hat, dann gibt es kaum einen Grund, ihr nachzutrauern!«
Olli sprang auf. »Du hast doch keine Ahnung! Ich habe Sarah geliebt! Ich liebe sie auch jetzt noch! Aber das kannst du natürlich nicht kapieren. Dir fliegen die Weiber ja nur so zu. Du kannst jede haben!«
Ben atmete tief durch.
»Aha! Ich weiß nicht, was Liebe ist! Ist klar! Und warum bin ich dann hier? Weil Fehmarn so viel traumhafter ist als Phuket? Verdammt, Olli! Auch wenn ich ab und zu mit einer in die Kiste springe, es bedeutet mir rein gar nichts! Außerdem kennst du Sarah erst seit ein paar Wochen. Was weißt du schon über sie? Und Liebe? Ihr habt euch doch so gut wie nie geküsst. Sie hat dich verleugnet, als wärst du ihr peinlich.«
»Du spinnst ja total! Wo steht, dass man sich immer und überall die Zunge in den Hals stecken muss? Und natürlich habe ich ihr geholfen! Die Deutschen Meisterschaften sind in sieben Wochen und sie hat alle Chancen zu gewinnen.« Mit zitternden Fingern fummelte Olli eine Zigarette aus der Schachtel. »Danach hätte sie Zeit für unsere Beziehung
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