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Ostseegrab

Ostseegrab

Titel: Ostseegrab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anke Clausen
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auf dem Stahltisch. Franck ging um den Tisch herum und sprach in sein Diktiergerät. »Wir haben hier eine weibliche Leiche, 1,75 m groß, etwa 65 Kilo schwer. Äußerlich auffällig sind leichte Hämatome im Brustbereich. Wir machen jetzt einen Abstrich und öffnen dann.«
    Stefan wippte ungeduldig auf und ab. Robert war blass geworden. Stefan hatte den sonst immer so gut gebräunten Kollegen noch nie so gesehen.
    »Die Leiche wurde am Strand von Gold auf Fehmarn gefunden«, diktierte Franck weiter. »Ich öffne jetzt den Brustkorb.«
    Stefan war schon oft Zeuge dieses Y-Schnitts gewesen.
    »Wir entnehmen nun die inneren Organe.« Lutz drückte auf die Stopptaste. »Besonders interessant ist natürlich die Lunge.« Robert nickte übertrieben und verließ überraschend den Sektionssaal.
    »Er ist noch nicht so lange dabei«, verteidigte Stefan seinen Kollegen. Gegen die leichte Schadenfreude kam er nicht an.
    Lutz nickte. »Selbst Schölzel war gestern fix und fertig, aber er war bei dem Baby dabei. So was muss ich zum Glück auch nicht alle Tage machen. Sonst wäre ich schon in der Klapsmühle. Weiter!« Seine Hände verschwanden in dem geöffneten Brustkorb. Er entnahm das erste Organ. Stefan würde sich nie daran gewöhnen. Außerdem ärgerte es ihn, dass er bei Obduktionen immer an seine Hochzeitsreise denken musste. Sie hatten die Flitterwochen in Thailand verbracht. In Bangkok hatten sie den Markt in Chinatown besucht und kaum glauben können, was der Mensch so alles essen kann. Die unterschiedlichsten Innereien warteten in der schwülen Hitze auf Kunden. Mit viel Geschnatter wurden sie von den Verkäuferinnen auf die Waage geworfen und anschließend in Plastiktüten auslaufsicher verpackt.
    »Das ist in der Tat merkwürdig!«, rief Lutz plötzlich.
    Stefan war schlagartig wieder bei der Sache. »Was?«
    Lutz schüttelte den Kopf und gab ihm ein Zeichen, sich noch einen Moment zu gedulden. Dann zerschnitt er den Lungenflügel und betrachtete die Schnittfläche. »Stefan! Das solltest du dir ansehen!«
    Widerwillig stellte er sich neben Franck und starrte auf die zerschnittene Lunge.
    »Und?«
    »Hier die Schnittfläche! Trocken!«
    »Trocken? Sie ist gar nicht ertrunken?«
    »Doch, doch, aber der Befund sollte indifferent sein.«
    »Indifferent? Verdammt, Lutz, sprich Deutsch mit mir!«
    »Die Schnittfläche dieser Lunge sollte normal sein. Ostseewasser hat einen Salzgehalt, der dem des menschlichen Körpers ungefähr entspricht. Obwohl diese Frau definitiv ertrunken ist, würde sich die Lunge auf den ersten Blick nicht von einer – auf Deutsch – Landleichenlunge unterscheiden.«
    Stefan sah ihn fragend an.
    »Osmotischer Austausch! Bei Salzwasser ist die Lunge voll mit Wasser, weil das Salz die Körperflüssigkeiten in die Lunge zieht. Das ist wie beim Kochen. Man soll sein Steak auch nie vor dem Braten salzen, weil es dann an Geschmack verliert. Na, jedenfalls wäre die Schnittfläche bei einer Salzwasserleiche feucht! Es würde Flüssigkeit raustropfen.«
    Stefan wurde fast schlecht bei dem Gedanken. Musste Franck ihm auch noch den Appetit auf sein geliebtes Steak nehmen?
    »Hörst du mir eigentlich zu?«
    Er riss sich zusammen und nickte.
    »Bei Süßwasser verhält sich die Sache wieder ganz anders. Weil der Körper einen höheren Salzgehalt hat, wird das Wasser automatisch aus der Lunge gezogen.«
    Stefan reichte der Unterricht für heute. »Und wie ist das Ende der Biologiestunde?«, fragte er eine Spur zu aggressiv.
    »Das ist Chemie!«, antwortete Franck beleidigt. »Was ich zu erklären versucht habe, ist Folgendes. Die Schnittfläche dieser Lunge ist trocken! Die Frau kann nicht in der Ostsee ertrunken sein!«
     
    Ben schob die Schiebetür zur Seite, um frische Luft reinzulassen. Der Himmel war wolkenlos und der Morgen schon jetzt angenehm warm. Das würde ein guter Tag werden. Nicht alle Tage waren gut. Oft wünschte er sich sein anderes Leben auf Phuket zurück. Auch wenn ihm diese Zeit dort mittlerweile fast unwirklich erschien, überfiel ihn die Sehnsucht mit einer solchen Heftigkeit, dass es ihm den Atem nahm. Dann sah er plötzlich wieder alles genau vor sich. Den Bang Tao Beach, die Palmen und die Surfer. Er vermisste die Tempel und die freundlichen Menschen, den Duft von Räucherstäbchen und das wunderbare Essen. Und ihm fehlte das Gefühl der unendlichen Freiheit, wenn er durch das kristallklare Wasser surfte. Er vermisste dann sogar die Dinge, die er dort manchmal verflucht hatte. Die

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