Ostseeliebe
hielt. In den Unterlagen bei Frau Kühnel habe ich ein paar Entwürfe gefunden, die Ladestein Malvine geschickt haben muß, hatte aber noch keine Zeit, hineinzuschauen.
Vermutlich seid Ihr da mit Marianne Brants Koffern besser bestückt - wobei mir siedendheiß einfällt, daß die Brant vielleicht ausgerechnet solche horriblen Versuche von Ladestein
gemeint haben könnte als sie, während Eurer offenbar in jeder Hinsicht denkwürdigen Feier von Mysterienspielen schwafelte?!? O Gott, das wäre furchtbar! Rede doch einmal mit ihr darüber, und wenn ich recht habe, mußt Du alles daran setzen, ihr diese Schnapsidee wieder auszutreiben.
Ladestein jedenfalls, obgleich selbst ungefähr so metaphysisch veranlagt wie ein Schinkenbrot, wurde Malvine zuliebe sogar ein wenig esoterisch, ließ sich aus der Hand lesen, besuchte mystische Steine etc. etc. Tja, und irgendwann hat sich die Sache ins Gegenteil verkehrt, das deutet sich meiner Meinung nach auch schon bei dem Boreas-Stück an, denn niemand wird mir weismachen können, daß diese philosophische Sahnetorte ernsthaft satt machen sollte! Das ist doch ironisch gemeint, durch und durch! Jedenfalls wandelte sich Ladesteins Liebe erst in Bitterkeit, dann in Haß. Du wirst nicht gern hören, was ich Dir jetzt schreibe, aber ich denke, ich sollte es Dir so sagen, wie ich es gehört habe:
Malvine mußte im Nationalsozialismus emigrieren, das wußtest Du schon. Sie hat es, dank guter Beziehungen, gerade noch in die USA geschafft und ist dort hochbetagt als angesehene Tanzlehrerin gestorben. Nur: Warum mußte sie emigrieren? Wer hat sie angeschwärzt? Nein, es ist wahrlich kein schöner Gedanke, aber ich habe Indizien - ziemlich eindeutige Indizien - dafür, daß es Ladestein war. Ladestein hat sie verraten. Und dann hat er es natürlich augenblicklich bereut und immer wieder versucht, Kontakt zu ihr aufzunehmen. Er hat sie nach dem Krieg geradezu überschüttet mit Briefen - eine Menge dieser Briefe habe ich bei Frau Kühnel gesehen. Die Umschläge waren noch allesamt verschlossen.
Ich fand - Du magst das überraschend zurückhaltend für mich finden -, daß ich nicht das Recht hätte, sie zu öffnen.
Du stehst ihm näher, mach Du sie auf. Ich bringe sie mit, wenn ich das nächste Mal komme.
Keine schönen Nachrichten, was? Der Mensch ist, wie er ist. Vielleicht ist es doch gar nicht so unvernünftig, Tierarzt zu sein.
Laß es Dir gutgehen! Ich komme, wenn’s ein bißchen wärmer wird.
Deine Jeanette
Besucher
Sie lassen Berlin weit hinter sich,
Und sie hassen die neue Zeit,
Und Nacktbadestrand finden sie fürchterlich
Und starren auf Busen und schämen sich
Und tun sich vor allem leid.
Sie kommen zum Weekend mit dem Dampfer an,
Und sie klettern beschwerlich von Bord.
Sie würden weit lieber nach Afrika fahrn
Und geben den Kindern täglich Lebertran
Und sagen der Frau kein Wort .
Sie essen stets Kochfisch im Hafenlokal
Und schaun beim Kaffee zur Uhr
Und finden Natur ganz schön, doch banal,
Und Föhren und Sprosser sind ihnen herzlich egal,
Was zählt, ist die Reisekultur!
Und stumm starren Kinder nach irgendwo hin,
Wo’s Seemänner gibt und Piraten,
Und auch ihre Mutter, die würde gern fliehn
Und ließe sich entern und ließe sich ziehn,
Zu den Eskimos, zu Emiraten!
Dann brechen sie auf, lassen Sehnsüchte hier
und eilen geschäftig an Bord.
Der letzte im Saal trinkt noch rasch ein Glas Bier,
Und einer fragt: Was suchten die hier?
Und ist nun ein Fremder am eigenen Ort.
Ratlos wandte Julia die Blätter hin und her. Jeanette hatte einige Werke Ladesteins beigelegt, kommentarlos, aber für Julia hatten mit einem Schlag seine Verse viel von dem verloren, was sie so liebenswert gemacht hatte: Unschuld, der Charme eines gewitzten Jungen, der nicht erwachsen werden wollte. Julia war verstört. Es waren noch weitere Gedichte dabei, Aphorismen, Anekdoten. Sie hatte keine Lust, sie zu lesen. Halt! - ermahnte sie sich im nächsten Augenblick, noch ist gar nichts bewiesen. Wie konnte Jeanette, die sonst so neugierig war, es nur aushalten, die Briefe Ladesteins an Malvine nicht zu öffnen? Sie fühlte sich vom plötzlichen Taktgefühl der Freundin gerührt - bis ihr klar wurde, daß der Grund für Jeanettes Zurückhaltung ein ganz anderer war: Sie konnte leichten Herzens über die Mißgeschikke und auch die Böswilligkeiten anderer reden und die Schwächen der Mitmenschen in komischen Karikaturen beschreiben. Etwas ganz anderes aber war es,
Weitere Kostenlose Bücher