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Ostseeliebe

Ostseeliebe

Titel: Ostseeliebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Jaskulla
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unaufhaltsam, und da war es wieder, dieses grausame - Gong! -, und da war er wieder, dieser Schreck, dieses Scheppern der Angst im eigenen Körper. Und Gong! Noch einmal bemühte sich Julia, kraftloser schon, aber wieder gewannen die Kugeln. Bei jedem Schlag nahm die Qual zu, wurde das Geräusch lauter. Und dann wuchsen die Kugeln auch noch, wurden immer massiger, sie pumpten sich
geradezu voll mit ihrem Schmerz, und gleich, gleich würden sie sie erschlagen! Und dann wachte sie auf. Neben dem Bett stand das Kästchen mit den kleinen Kugeln darin und dem Drachen auf dem Deckel. Es klopfte.
    Es klopfte? Ganz eindeutig, jemand klopfte an die Tür. Julia sprang aus dem Bett, sah auf die Uhr. Ging dann zur Tür. »Anne?« »Nein, ich bin’s«, sagte eine Stimme. Eine vertraute Stimme. Julia erstarrte. Hanno. In ihrem Kopf begann es zu rauschen. Die Beine wußten nicht, wohin mit sich. Macht was, sagte Julia, bewegt euch. Irgendwie kam sie zur Tür. Öffnete. Eiskalte Nachtluft wehte herein, ein Wind, feindselig und scharf.
    »Hanno!«
    »Komm mit.«
    Was sagte er da?
    »Komm mit!« wiederholte er jetzt, drängender. »Komm mit zum Strand.«
    Hanno sah furchtbar aus. Er hatte seinen Mantel eng um sich geschlungen wie jemand, der schon lange friert. Groß, schmal, schwankend, nachtfinster, so stand er da. Sah nach Schlaflosigkeit aus, nach tagelanger Trunkenheit und Traurigkeit. Graugesichtig, ausgedörrt, die Haare in wirren Strähnen, nur die Augen von einem unnatürlichen Glanz. Ein Gespenst, vor dem niemand mehr erschrak. Er schaute sie unverwandt an.
    »Hanno, ich...«
    Er sagte es ein drittes Mal: »Komm mit, Julia. Komm mit zum Strand!«
    Wie gut sie diese Stimme kannte. Wie sehr sie sie vermißt hatte. Wie sehr sie sich bemüht hatte, sie zu vergessen. Und plötzlich bekam sie Angst. Und da riß etwas in ihr. Und da platzte es aus ihr heraus: »Weißt du eigentlich, wie spät es ist, ja? Hast du mal auf die Uhr geschaut? Und was machst du überhaupt hier? Seit Wochen habe ich dich nicht gesehen,
ich habe nichts von dir gehört, das einzige, was ich höre ist: ›Er ist noch nicht soweit, er ist noch nicht soweit.‹ Meine Gott, Hanno. Und dann tauchst du hier einfach auf? Denkst du, daß ich die ganze Zeit auf dich gewartet habe? Hör mir gefälligst zu! Was fällt dir eigentlich ein, jetzt, mitten in der Nacht...«
    Er hörte sie nicht mehr. Er hatte sich schon nach ihren ersten Worten umgedreht und war ganz langsam davon gegangen.
    »Hanno?«
    Er war in der Dunkelheit verschwunden.
    »Hanno!«
    Sie sah ihn nicht mehr. Sie schloß die Tür.
    Der Drache auf dem Deckel lächelte gleichmütig und wissend, als Julia sich wieder ins Bett legte, steif vor Anspannung, mit rasendem Herzen, leer. Sie betrachtete das Kästchen, unschlüssig, ob sie die Kugeln herausnehmen sollte. Sie strich mit dem Finger über den Stoff, der schon ein wenig schäbig wurde. Der Drache schaute irgendwo hin. Doch dann, plötzlich, breitete er seine Flügel aus, daß es rauschte, und flog davon, und Julia spürte eine große Erleichterung. Sie mußte ihm nach, sich beeilen, ihm folgen, denn sie wußte, der Drache flöge zum Meer. Und da war sie auch schon gelandet, aber nicht am Strand, sondern mitten auf dem Meer, in einem Fischerboot, das ruhig auf dem Wasser dahinglitt. Mehrere Männer dabei. Die berieten. Im Wasser hatten sie eine Figur entdeckt, eine hölzerne Frauenfigur, die galt es zu bergen. Mit Seilen hievten sie sie an Bord. Sie glaubten zunächst, es sei eine Madonna, doch was sie da bargen, war eine Nixe, ein Meerwesen. Julia seufzte auf, so schön war die Figur: aus einem einzigen Stück geschnitzt, ein liegender, lindenholzwarmer Frauenleib. Aber dann sah sie es: Der Figur fehlten die Arme! Die Nixe hatte keine Arme, und auch ihr schöner Körper war reichlich ramponiert:
die rechte Seite noch fein bemalt, die linke jedoch stark beschädigt. Ausgiebig untersuchten sie die Figur, besahen die Schäden, beratschlagten. Ein Maler leitete sie an. Gemeinsam restaurierten sie die Nixe: Mit winzig feinen, akkuraten Pinselstrichen zeichnete Julia die Nixenhaut nach. Schuppe um Schuppe, türkis hingetupft, dann schwarzfein den Rand gestrichelt, die Zeichnung der Schuppen, die Kontur. Doch plötzlich verlor sie die Geduld: Energisch tauchte sie einen übergroßen Pinsel in einen riesigen Eimer mit roter Farbe - und strich beherzt, mit großem Genuß den ganzen, zarten Nixenleib rot. Und noch mehr Rot! Und überall Rot, und schwer und zäh

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