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Ostseeliebe

Ostseeliebe

Titel: Ostseeliebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Jaskulla
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wieder ein - ausgerechnet jetzt muß sie daran denken, wie man sie abgeschüttelt hat in Goldnüssens Keller wie einen lästigen Hund, der nach der Hand des Besuchers schnappt... Sie ist stehengeblieben, mitten auf der Tanzfläche, einfach so, gelähmt von der Erinnerung an ihre eigene bleierne Hilflosigkeit.
    »He, fühlst dich nicht besonders, hm?«
    Wenn Jan versucht, sensibel zu sein, wird es furchtbar. Aber er ist groß, und er riecht gut, und er hat wissende Hände, die sie nun zu einem etwas ruhigeren Platz schieben, und da schlägt auch schon einer das Piano an, leiser als die Musik eben, es ist jemand, der mehr von Sehnsüchten versteht als die Schweden und der seine Musik nicht in Synthesizerwannen baden muß, damit sie wirkt.

    »Look into my eyes, da-da-dada-damm, you will see, da-da-dada-dam, what you mean to me!«

    Auch Jan, der sie einfach umfaßt hat, biegt nun seinen Kopf zurück, um ihr ins Gesicht zu sehen. Himmel, wie ahnungslos der Junge ist!

    »Such a heart/Such a soul/You find me there/You search no more/Don’t tell me/it’s not we’ve trying for/Can’t tell me/it’s not we’ve dying for/ - No it’s true:/Everything I do/ I do it for you.«

    Lippen, Hände, Küsse auf ihrem Haar. Richtig, so macht man das wohl. Julia ist plötzlich müde und hebt nur artig den Kopf wie ein Vogeljunges, das Fütterung erwartet, und wirklich senkt sich Jans Mund nun herab auf ihren und küßt sie und küßt gar nicht übel, wenn man bedenkt, wie egal er ihr ist.
    Ein Blick. Ein eisernes Augenpaar. An der Theke lehnt Hanno. Ganz allein, ein Schnapsglas in der Hand. Schaut sie an. Tonlos. Sie schaut zurück. Das Glas zerbricht in seiner Hand. Blut. Er geht.

    »Komm, nun laß doch!« sagt Jan. »Vergiß doch diesen Blödmann!«
    Wohltuende Grobheit. Aber: Sie hilft nicht. Immerhin: Julia geht nicht. Sie genießt es, sich überreden zu lassen. Und sie tanzt viel. Mit allen, sogar mit Weber, der knurrt, daß ihn dieser »Takt« noch umbringen wird. Sie tanzt mit Erika, deren Sohn ungestüm auf der Tanzfläche herumzappelt, und mit den Fremden tanzt sie auch und, immer wieder, mit Jan. Und läßt sich küssen und küßt zurück durch den Schnapsgeschmack in ihrem und in seinem Mund, durch den Rauch und das träge eigene Blut, das Jan ignoriert. Und dann schreit plötzlich jemand: »Karaoke!«, denn für die Besuchergruppe ist ein Animateur engagiert worden, der will nun arbeiten und nichts auslassen, und wirklich wird eine
Instrumental-CD aufgelegt, werden Mutige nach vorn gebeten - und erst dann sieht Julia Renate. Renate hingegen hat Julia schon lange gesehen. Und Jan. Ihr rotes Barrett hält sie in den Händen, die Haare sind noch ganz plattgedrückt von der Mütze. Die Metallschließen des Mieders haben sich zum Teil geöffnet, und Renate hat sie kunterbunt durcheinandergehakt. Den Glockenrock der Party hat sie gegen ihre üblichen himmelblauen Leggins eingetauscht, in denen sie nun durch den Raum stakst, während sich der Discjockey bemüht, seinen kläglichen Scheinwerfer auf Renate zu richten. Renate scheint von dem Trubel um sie her nichts zu bemerken. Sie schaut nur zu Jan. Als der Animateur sie etwas fragt, nickt sie und sagt dann kurz etwas, was der Mann sogleich beflissen wiederholt, in sein Mikrofon hinein:
    »Unsere erste Heldin der Nacht heißt Renate! Und das ist ihr Song: Whitney Houston: I will always love you! Bitteschön!«
    Er rückt den Monitor zurecht, auf dem Renate den Text lesen soll, aber Renate braucht keinen Monitor und schaut immer noch keinen an, nur Jan. »Das ist ihr dritter!« fällt Julia ein, und außerdem ist es der Titelsong eines verdammt kitschigen Films, den sie schon zweimal gesehen hat, um in Ruhe zu weinen, und das, was sie von dem Lied noch in Erinnerung hat, ist, daß es a capella beginnt, nur die Stimme, eine Frau ganz allein. Und Renate singt. Sie steht da in ihren lächerlichen Leggins mit der verdrückten Frisur und singt. Und ihre Stirn und ihre Nase glänzen dabei wie der Mond:
    »If I should stay...«
    Wort für Wort, deutlich voneinander getrennt. Da überlegt sich jemand jede Silbe, schon das kleine »wenn« wird verziert und verlängert, und so geht es fort: Wenn, ja wenn ich bliebe... Renate trifft tatsächlich den Ton, und sie hält die Melodie, nur macht sie es ein bißchen kürzer als ihr amerikanisches Vorbild, und Julia hört sie atmen, und ihr
»If« hat drei »f« und das »I« klingt mehr wie »hi«, aber das macht nichts, weil es Renates Lied

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