Ostseeliebe
bei Euch gewesen zu sein. Ich gebe zu, daß mir seit meinem Inselaufenthalt einiges hier doch - irgendwie farblos erscheint, blaß. Und ziemlich unwichtig. Und das ist um so erstaunlicher, als Deine Insel im Grunde nichts Außergewöhnliches zu bieten hat, weder landschaftlich noch kulturell. Ich meine - reg Dich nicht gleich wieder auf! -, das bißchen Föhrenwald findest Du überall, die Heide ist schnell durchwandert, wenn man sie, anders als ich, überhaupt mag, und der gute Bodden auf der Binnenseite liegt ja üblicherweise flach wie Volkers neue Freundin... pardon - ein Kalauer, aus Wut. Dachte ich doch, der Kerl würde mir wenigstens eine Anstandsfrist lang nachtrauern, und nun hat er sich augenblicklich mit einer jüngeren getröstet. Zum ersten Mal muß ich mich also obendrein als die ältere fühlen, um nicht zu sagen als »die Alte«, und ich finde den Gedanken wenig erhebend. Noch keine dreißig bin ich!
Bevor ich mich nun auf zwanzig weiteren Seiten über Dein großes (Liebe) und mein kleines (Langeweile) Ungemach
auslasse, fasse ich hier kurz zusammen, was meine Malvine-Recherchen ergeben haben:
Malvine Söderbaum, 1897 geboren, wuchs in Norwegen bei ihrem Vater auf, kam nach Berlin, heiratete - einen Arzt, glaube ich - und nahm nebenbei Tanzstunden. Für das übliche (und gesellschaftlich akzeptierte) Ballett war sie eindeutig zu alt - ohnehin wäre sie mit ihrem Gardemaß und den kräftigen Hüften nicht der richtige Typ dafür gewesen; aber es gab ja seit den Zeiten der alternativen Künstlergemeinschaften in der Schweiz den Ausdruckstanz, der damals gerade richtig in Mode kam. Wahrscheinlich hat Malvine diese Form des Tanzes in Zürich kennengelernt, einer Stadt, in die sie ihren Mann öfter zu medizinischen Fachkongressen begleitete. Gut möglich jedenfalls, daß sie in einem der dortigen Cafés eine der Ausdruckstänzerinnen traf, die damals gerade Furore machten. Man tauschte Adressen aus, man verabredete sich für Berlin. Das war’s. Das war’s? Ja, das war’s, denn aus war’s mit der angepaßten Arztgattin! Zusammen mit der alten Behäbigkeit und Unbeweglichkeit warf die gute Malvine nämlich gleich ihr ganzes Leben über Bord. Sie hat ihren braven Mann verlassen - der sich, wie berichtet wird, selbstredend sein restliches Leben nicht davon erholt haben soll. Aber nicht nur das: Malvine entdeckte ihre Liebe zu Frauen! Das war damals ungeheuerlich. Erinnerst Du Dich an das Portrait - »Malvine, der unwiderbringlichen Frau«? Eben. Der gute Doktor hat es malen lassen, in der felsenfesten Überzeugung übrigens, ein so großzügiges Geschenk würde ihm die Liebe seiner Frau womöglich zurückbringen. Es hat natürlich nicht geklappt, denn Malvine ist sehr zufrieden gewesen mit ihrer neuen Existenz. Schon bald hatte sie ihre ersten Auftritte und ist überall herumgereist, dank der guten Beziehungen ihrer Familie bis hinauf nach Dänemark und Norwegen, wo man nicht schlecht gestaunt hat über die
Frauen, die gern in antikisierenden griechischen Gewändern oder mit phantastisch wehenden Schleiern auftraten, die sich zu ihren Auftritten häufig zeitgenössische Musiken in einer Art und Weise zusammenstellten, die man heutzutage als »Mix« oder »Remix« bezeichnen würde. Und dazu tanzten sie alles andere als gefällig, weil sie der Auffassung waren, daß Tanz eine elementare Sprache wie das Reden (und das Schweigen) sei. Weil diese Sprache aber so lange unterdrückt worden sei, komme, wenn man sie befreie, erst einmal alles Zurückgedrängte, scheinbar Vergessene, Dunkle und Unliebsame ans Licht - also Zweifel, Nöte, wilde Wut und Obsessionen… Kein Wunder, daß sich unsere goldhaarige Schöne gelegentlich auf Deiner Insel erholen mußte!
Und dann kam Ladestein. Wieder so ein Verehrer, wird sie sich gedacht haben. Ein wenig gescheiter als die meisten anderen Männer, ein wenig häßlicher vielleicht auch. Sie duldete ihn eine Zeitlang als Begleiter, durch sein charmantes Wesen und seinen Witz war es Ladestein in kürzester Zeit gelungen, fast jedermann auf der Insel kennenzulernen, und mit seiner Hilfe verschaffte sich auch Malvine Zutritt in die sogenannten wichtigen Häuser. Aber irgendwann ließ sie ihn fallen. Einfach so. Das war eindeutig VOR der Boreas-Geschichte. Ich nehme an, daß Ladestein, inspiriert durch seine Leidenschaft für Malvine, plötzlich wieder daran dachte, ernsthafte Theaterstücke zu schreiben. Und Du weißt, was selbst sein geduldiger Verleger von solchen Versuchen
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