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Ostseeliebe

Ostseeliebe

Titel: Ostseeliebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Jaskulla
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als die ersten etwas unruhig wurden und sich und ihre Nachbarn zu fragen begannen, was das Ganze denn mit ihnen zu tun hätte, kam der Clou. Der erste Karierte, anscheinend der Chef der drei, kündigte strahlend an:
    »Und nun, Herr Bürgermeister, haben Sie das Wort!« Anselm Nothnagel war gar kein ordentlicher Bürgermeister, sondern nur Ortsvorsteher, was alle wußten, und auch sonst machte der schmale Mittvierziger, der immer aussah, als wäre er mit knapper Not zuschnappenden Aktendeckeln entronnen, seinem Namen alle Ehre. Er war nicht beliebt,
aber auch nicht unbeliebt. Niemand hätte mit ihm tauschen mögen, also ließ man ihn in Ruhe. Von Zeit zu Zeit machte er halbherzige Versuche, ein paar drängende Probleme der Insel zu lösen, aber beim ersten Widerstand pflegte er sich zurückzuziehen. Doch jetzt erhob sich Nothnagel im sichtlichen Bewußtsein seiner Bedeutung:
    »Ich habe, selbstverständlich nach Rücksprache mit dem zuständigen Ministerium, den Herren von Miesburg, Mayer und Partner das Grundstück der alten Gemeindeverwaltung in Godshorn zugesagt. Wir nutzen das Gebäude ohnehin nicht, drumherum ist reichlich Land, das der Gemeinde gehört. Für eine derart zukunftsträchtige Investition besteht die Möglichkeit der kostenfreien Überlassung. Dazu haben wir uns entschlossen.«
    Es wurde nicht klar, wen Nothnagel mit »wir« meinte, und so schauten sich die meisten verwirrt an. Andere applaudierten.
    »Alles wieder so’n abgekartetes Spiel!« zischte jemand hinter Julia. Sie drehte sich um: Es war die alte Lisa, die mit ihrer Freundin zusammensaß, einen leeren Bierseidel vor sich.
    »Nich’ zu fassen! Detselbe Spiel wie früher!« Lisa war sichtlich empört. »Die nutzen aus, daß die Leute jetzt endlich mal mitmischen wollen.« Sie wandte sich an Julia. »Verstehst du, es geht nur um das nächstbeste Nützliche, das, was du kriegen kannst. Gleich und schnell! Dafür lassen sie dann auch mal fünfe gerade sein. Hauptsache, es passiert was, und ich hab was davon, egal, ob das nun alles so richtig ist oder nicht. Denn ›Organisieren‹, das haben wir hier gelernt. Ich meine: Davon haben wir ja gelebt in unserm tollen Sozialismus - daß du immer genau wissen mußtest, wo du irgendwas herkriegen konntest, mit Phantasie natürlich. Organisieren, das war die Lücke im System rauskriegen.« Lisa grinste bei der Erinnerung, dann wurde sie wieder
ernst. »Und genau so geht’s jetzt hier weiter. Alles wie gehabt. Verstehst du, kein Mensch hat sich früher Gedanken darüber gemacht, was für Folgen das alles hatte. Du warst doch neulich dabei, als Malte von den Werften erzählt hat, oder?« Julia kam bloß dazu zu nicken, dann fuhr die Alte schon fort: »Sie sind alle stolz auf die tollen Werften. Aber wer hat denn die vielen hundert Schiffe gebraucht, hm?«
    »...ach Lisa, hör doch uff!« rief jemand vom Nachbartisch. Lisa ließ sich nicht stören. »...mußt ja nich’ zuhörn! Was wurde denn überhaupt aus unsrer tollen Insel, zwan zig lächerliche Quadratkilometer - zwan-zig! - und jedes Jahr mehr Vieh und kein Plan, wohin mit der ganzen Gülle und dem Abfall. Überhaupt kein Plan, jeder murkelte vor sich hin, und man war froh, wenn man seine Ruhe hatte. Und jetzt? Jetzt wittern die Leute ihre Chance.« Lisa zuckte die Achseln. »Wie Mädchen, die bei einer Tanzveranstaltung zu lange am Rand gesessen haben, so kommen sie mir vor.« Sie schnaubte voller Verachtung. »Jetzt gibt es für sie etwas zu holen - glauben die! Aber wenn du mich fragst - ich hab schon so viel gesehen, zu viel...«
    Der Geräuschpegel hatte inzwischen beträchtlich zugenommen. Die Sitzung wurde unterbrochen, um, wie die drei Karierten meinten, Gelegenheit zu persönlicher Rücksprache zu geben und auch, damit sich die ersten Interessenten in die Listen eintragen konnten. Anne Bult kam zu Julia herüber.
    »Ist doch nicht zu glauben, welche Flöhe die den Leuten ins Ohr setzen! Die wollen uns wohl für dumm verkaufen!«
    »Aber du hast nichts gesagt, Anne!«
    »Nein, ich bin ja auch nicht von hier. Da werde ich mich kaum als Wortführerin aufspielen.«
    Sich als Wortführerin aufspielen! Sich aufspielen! So hieß das hier wohl, wenn jemand eine andere, von der Mehrheit abweichende Meinung hatte.

    »Und schau nur, wie begeistert sie sind!«
    Sie wies zum Podium. Dort drängten sich einige um die drei eloquenten Herren, unter ihnen auch Hilda Minarek, die aufgeregt wirkte, von einem Fuß auf den anderen trat wie ein Schulmädchen

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