Ostseeliebe
und bald mit diesem, bald mit jenem lachte und scherzte. Wie schmal sie wirkte in ihrem Kostüm und den hochhackigen Stiefeletten! Instinktiv wandte Julia sich um: Ja, Hanno war immer noch da. Er saß mit verschlossenem Gesicht und verschränkten Armen da, allein, im Dunkeln.
»Sie haben gesagt, sie wollen auch etwas für die Kultur tun, stellt euch mal vor!« Hilda Minarek hatte sich zu ihnen durchgekämpft. Ihr Gesicht war erhitzt, der Lippenstift verschwunden.
»Hilda, du bist ja ganz aus dem Häuschen!«
Julia hatte Lust, sich bei ihr einzuhaken.
»Sie wollen auch so eine Art Theater einrichten, natürlich kein Stadttheater, eher so ein Haus für Musicals und so etwas. Und zwischendurch große Shows, die auf Tournee sind. Oder eine Eislaufrevue...«
»Aber Hilda, findest du nicht, daß das ziemlich unausgegoren klingt?«
»Die können ja noch gar nicht wissen, was hier so läuft. Aber ich, ich weiß es! Denn ich ziehe immer mit den Touristen durch die Gegend. Also hab’ ich die drei Herren da gefragt, ob sie nicht jemanden brauchen, der sie berät und der dann später, für das Theater, auch die Dekorationen entwirft und so weiter, und sie haben gesagt, daß wir uns morgen treffen sollen und das Ganze bereden und...«
Hildas Enthusiasmus sprudelte noch in die zweite Hälfte der Versammlung hinein, in der die fremden Herren nur ausnahmsweise als Gäste zugelassen waren, denn hier ging es um »Interna« der Gemeinde, wie Nothnagel mit trockener
Stimme ankündigte. Und als er den Tagesordnungspunkt »Extraabgabe« vorlas, wußten auch alle, was gemeint war: Auf der eigentlich autofreien Insel hatten sich in letzter Zeit immer mehr kleine Unternehmer Sondergenehmigungen für Autos besorgt, und so kam es, daß beileibe nicht nur der Arzt und der »Harvariedienst«, der die Deiche flickte, sondern sogar ein Dachdecker und ein Elektriker mit ihren Kleinwagen über die Insel fuhren, zur Verärgerung der Touristen und der anderen Inselbewohner. Also erfand Nothnagel eine eigene Abgabe, kurz »die Extrasteuer« genannt, und gegen die hatten sich nun einige Geschäftsleute zusammengeschlossen. Sondersteuern, so hatten sie es schriftlich gleich beim Land eingereicht, verstießen gegen die Prinzipien der Demokratie, denn Reiche würden begünstigt, ärmere Geschäftsleute hätten erhebliche Nachteile in Kauf zu nehmen, wenn sie sich kein Auto leisten konnten. Und als Nothnagel, etwas ungeschickt, anfügte, genau das sei ja auch der Grund für die Einrichtung der Steuer gewesen - daß es nämlich mittel- und langfristig weniger Autos als bisher auf der Insel geben sollte, da wurden die Männer laut. Sie bräuchten die Autos, weil sie sonst ihre Termine nicht einhalten könnten, auch der Harvariedienst könne schließlich nicht warten, bis sich die Deiche von allein wieder reparierten.
»Aber müßt ihr dafür mit achtzig Sachen durch die Gegend brausen?« brummte einer.
»Man kriegt ja schon Angst, wenn man Fahrrad fährt!«
Drei Anträge lagen dem Ortsvorsteher vor: Der eine lautete, daß ein freies Land auch freien Autoverkehr brauche. Seine Befürworter argumentierten, daß mehr Tagesgäste kämen, wenn sie sich leichter von einem Ort zum anderen bewegen könnten. Der Warenverkehr würde vereinfacht und damit günstiger, und schließlich passe eine autofreie Insel einfach nicht mehr in die Zeit.
Für den zweiten Antrag machten sich vor allem die Vermieter von Fremdenzimmern stark, die sich zunehmend die Klagen ihrer erholungssuchenden Urlauber anhören mußten: Da und dort auf der asphaltierten Heidestraße zwischen Godshorn und Nebel sei dieser oder jener Pritschenwagen so dicht an ihnen vorbeigefahren, daß sie sich mit einem Sprung hätten retten müssen, und weil die zugegeben wenigen Autofahrer kaum mit Gegenverkehr rechnen müßten, ließen sie ihre Gefährte wie Geschosse durch die Landschaft rasen, ein wahres Wunder, daß noch nichts Ernsthaftes passiert sei... Mit anderen Worten: Sie setzten sich für eine neue Autotrasse parallel zum Strandwanderweg ein. Die alte, kurvenreiche und unübersichtliche Straße sollte zum Wanderweg werden.
»Für eine dritte Gruppe, die im Prinzip eine Ergänzung oder Verschärfung des Antrags der zweiten Gruppe beinhaltet, hat Hanno Minarek unterschrieben«, sagte Nothnagel. »Herr Doktor Minarek, wollen Sie das mal kurz zusammenfassen?«
Hanno verneinte, während sich viele Köpfe nach ihm umdrehten, und bedeutete Nothnagel weiterzusprechen. Julia spürte, wie die
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