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Ostseeliebe

Ostseeliebe

Titel: Ostseeliebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Jaskulla
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auf sie zukam; sie mußte sich nicht bemühen, sie mußte sich nicht beeilen, es zu erreichen. Auf einer Insel wartet man, was kommt. Oder man flieht. Und nichts lag Julia Völcker im November ferner, als zu fliehen. Beruhigend klapperten die Qi-Gong-Kugeln in ihrer Hand. Sie kreisten leichter in der Innenfläche der Linken als früher.

    Alle paar Tage traf sie Hanno Minarek. Alle paar Nächte. Sie beschlossen, vorläufig nicht darüber zu reden. Sie redeten überhaupt wenig. Wenn Hanno abends leergearbeitet zu Julia kam, bestand er geradezu darauf, daß sie mit ihrer Ladestein-Lektüre noch fortfuhr. Er schaute ihr zu. Er wurde dabei ruhig. Das Schwierigste überhaupt sei, sich an die Gegenwart eines anderen zu gewöhnen, meinte er, da verhielten sich Menschen nicht anders als Gänse. Und sie hielte er schon ganz gut aus. Besser als sich selbst zuweilen. Manchmal erzählte er dann, meist von den Tieren. Er tat das scheinbar emotionslos und erwartete niemals eine Antwort von Julia. Über ihre Körper staunten sie noch immer. Und dauernd mußten sie nachforschen, ob das immer noch so wäre, ob die alten Gesten immer noch begriffen würden, ob die Haut verstünde, ob die Füße weiterhin wüßten. Sie wußten, und sie verstanden noch. Sie fühlten sich miteinander wie eingeweiht; vielleicht schwiegen sie deshalb.
    Niemand wußte davon. Niemand beobachtete Hannos
Weg zu Julias Gartenhäuschen, außer vielleicht Anne Bult, und die schwieg.

    Anne Bult und der Gemeindevorsteher, ein schmaler, unauffälliger Mann, dessen einzige Extravaganz in immer geölten Haaren bestand, luden Julia zur Gemeindeversammlung ein, gerade, als selbst die knauserige Erika beschloß, ihren Laden zu heizen. Und Julia ging hin, sie wollte dabei sein, wenn sich die Insel veränderte. Und das mußte sie tun, sich verändern, Hanno sagte es immer wieder, und Hilda sagte es, deren Stimme bei diesem Thema etwas Schrilles, Verzweifeltes bekam.
    »Es muß sich was tun! Die Zeiten, wo wir nur die Ferkelproduktivität erhöhen mußten, sind vorbei. Wir können uns nicht länger in die Tasche lügen!«
    Das hörten die anderen gar nicht gern. Gemurmel erhob sich in der Gaststube. Die Scheune kam Julia diesmal viel dunkler vor als beim letzten Mal, vielleicht, weil die Messinglämpchen nicht brannten, sondern nur das unfreundliche Deckenlicht, das den Raum nicht wirklich erhellte, obwohl es in den Augen blendete. Die Scheune war bis auf den letzten Platz gefüllt. Die Leute waren erregt, sie wirkten verunsichert. Mützen wurden in Händen gedreht, die Frauen lachten zu laut, Jugendliche, die sich an der Theke lümmelten, wurden unnötig scharf zurechtgewiesen. Beim Eintreten sah Julia Hanno, er hatte einen Platz nahe beim Ausgang gewählt, nicht bei seiner Schwester, die mit der Maushaarigen aus der Sauna an einem kleinen Einzeltisch saß, die unvermeidliche Biggi daneben. Üblicherweise fanden öffentliche Versammlungen im Gemeindezentrum in Nebel statt, aber diesmal gab es Besucher vom Festland, aus dem Westen, und die hatten gemeint, nur die Scheune böte den technischen Komfort, den sie zu ihrer Vorführung brauchten. Und das mit der Getränkerechnung, deuteten sie
an, das möge man doch in Gottes Namen ihnen überlassen! Die drei waren aus Süddeutschland, und wie sie nun da vorn auf dem improvisierten Podium saßen, erkannte Julia sie schlagartig wieder: Es waren die drei vom Schiff, die mit den karierten Sakkos, die sich schon bei der Überfahrt über die Primitivität und Weltabgeschiedenheit der Insel lustig gemacht hatten. Julia war überrascht, daß sie so lange hiergeblieben waren. Sie hatte sie für Vertreter gehalten, Handelsreisende, die den Inselbewohnern irgendeine zwingende Haushaltsneuigkeit aufschwatzen wollten.
    Nun bewegte sich Kathi, die Serviererin, mit einem übervollen Tablett durch die Tischreihen. Sie verteilte Bier und Schnaps, und eine Woge von zustimmendem Lärm breitete sich hinter ihr aus.
    »Jupp! Solang das heer jenuch zu trinken gibt, is’ das woll nich’ so dringend mit die neuen Sachen!«
    »Ich sage euch, wir müssen was ändern! Wir können nicht allein vom Schönwettertourismus leben. Letztes Jahr, als es so viel geregnet hat, sind hier viele Betten leer geblieben!«
    Hildas Stimme. Beschwörend, etwas zu laut. Die drei vom Podium nickten beifällig.
    »Sehr vernünftig, junge Frau! Wenn Sie nun bitte das Licht dämpfen wollen! Aber, was rede ich?! - Erst mal Prost!«
    Der Dicke hob seinen Bierseidel, und die

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