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Ostseeliebe

Ostseeliebe

Titel: Ostseeliebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Jaskulla
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Münder, Lippen gewesen waren.
    Hanno machte eine Geste, als wollte er auf die Leute zugehen, aber der Tisch stand direkt vor ihm.
    »Ich, äh, ich finde nicht, ich finde nicht, daß ich, äh, daß ich …«
    Julia zuckte zusammen. Natürlich wußte sie, daß Hanno, wenn er angespannt, müde oder sehr erregt war, dazu neigte, einzelne Wörter oder Satzteile zu wiederholen, aber so schlimm wie heute abend hatte sie dieses seltsame Phänomen noch nie erlebt.
    »...nicht, daß ich mich hier zu, zu äh, zu rechtfertigen hätte.«
    »Ach nee, findste nich’?«
    Sofort fiel ihm einer ins Wort.
    »Nun laßt ihn doch mal ausreden!«
    Einer der Jugendlichen, die an der Theke lehnten, ergriff Hannos Partei.
    Hanno setzte noch einmal an.
    »Ich finde, daß wir zwischen meinen privaten Angelegenheiten, meinen privaten...«
    Julia konnte es nicht mehr ertragen. Es schnitt ihr ins Herz. Hannos Hilflosigkeit war von einer Art, die andere aggressiv machte. So wie Schwerhörige mit dem bloßen fragenden Schieflegen des Kopfes andere zur Weißglut treiben können, so reizte Hannos Stammeln die Versammlung. Und warum wählte er auch so steife Worte, warum stand er da,
groß und aufgerichtet, und forderte Widerspruch geradezu heraus? Hanno wandte sich jetzt den Leuten zu, die seitlich von ihm saßen, und zur Theke hin, vielleicht, weil er sich von dort eher Unterstützung versprach.
    »...meine Privatsachen sind meine Privatsachen«, brachte er heraus, und Julia glaubte tatsächlich in Hannos Ton jene Arroganz herauszuhören, die die meisten Inselbewohner dazu brachte, ihm wenn nicht mit Ablehnung, so doch deut lich distanziert zu begegnen. Jetzt war einer der drei Karierten aufgestanden. Im Ton großer Erheiterung rief er in Hannos Rücken:
    »Nee, nee, nee - was haben wir, was haben wir, was haben wir denn da, denn da für einen Clown, für einen Clown! Aber doch eher, doch eher,’ne ganz schwache,’ne ganz schwache Vorstellung, ha-ha!«
    Die Leute lachten mit. Hanno lief dunkelrot an. Er ballte die rechte Hand zur Faust, aber er hob sie nicht, öffnete den Mund, aber kein Wort kam heraus. Ein gefangenes Tier, dachte Julia. Sie wollte aufspringen und Hanno helfen, aber sie spürte eine große Schwere in sich. Hanno stand immer noch auf seinem Platz, während die Leute lauter und lauter lachten. Der Karierte hatte ein Tabu gebrochen, jetzt gab es kein Halten mehr. Plötzlich griff Hanno nach seiner Jacke, die über dem Stuhl hing. Heftig riß er sie hoch, der Stuhl kippte. Hanno flüchtete nach draußen. Der Tumult wurde lauter.
    »Aber, aber, meine Damen und Herren, ich bitte Sie...«
    Der zweite Karierte war aufgestanden und breitete die Arme aus, als wollte er die Versammlung segnen.
    In Julia kehrte Leben zurück. Sie stand auf, entschlossen. Anne Bult schaute sie an, ernst. Im Hinausgehen drehte sich Julia zu Hilda Minarek um. Die saß in ihrer ersten Reihe und sah unverwandt die Karierten an, als wäre nichts geschehen.

    Feiner Regen fiel, fein, aber von unbarmherziger Gleichmä ßigkeit. Vor der Tür standen ein paar Pferdekutschen, die Tiere ließen die Köpfe hängen, dösten, wetterfeste Decken über die Rücken gebreitet. Leo und Schorsch waren nicht dabei. Ein Gewirr von Fahrrädern. Anne Bults, ihres, das eigentlich auch Anne gehörte. Julia zögerte, stieg auf. Im Café Wetterstein ein paar verlorene Gestalten, die Julia nicht kannte, Seeleute vielleicht, keine Spur von Hanno. Ein kurzer Blick zum Anleger, nichts, keine Spur. Weit konnte er doch nicht gekommen sein!? Julia merkte, daß sie sich nicht einmal die Zeit genommen hatte, ihre Kapuze hochzuziehen. Sie zwang sich, ruhig zu bleiben, aber ihr Herz klopfte bis zum Hals, und sie schwitzte, obwohl es ein Novemberabend der unangenehmsten Art war. Himmel, konnten die denn nicht mal Fahrräder mit halbwegs funktionierenden Lampen erfinden? Ein Hund fuhr aus einem Vorgarten hoch - Julia erschrak, das Rad schlingerte. Am Heimatmuseum bewegten sich seltsame Schatten, Julia sah nicht hin, weiter, weiter. Für eine kurze Strecke ging hier der Weg in eine asphaltierte Bahn über, sie gewann an Fahrt und bekam beinahe so etwas wie gute Laune. Hanno, ich komme! Aber sie hatte die Entfernungen unterschätzt, in der völligen Dunkelheit einer Regennacht verlor sie schnell jedes Gefühl dafür, wie weit sie schon gekommen war. Da, der einsame Hof von Gau. Endlich eine Hügelkuppe, dann die ersten, spärlichen Lichter von Godshorn, die nur zögernd zu brennen schienen in dem

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