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Ostseeliebe

Ostseeliebe

Titel: Ostseeliebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Jaskulla
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wiederholte, verlangsamte er immerhin seinen Schritt. Wo blieb Jeanette? Was war mit Anne und den anderen? Julia schob den Gedanken beiseite. Und ihr Fahrrad? Himmel, sie hatte ihr Fahrrad bei Marianne Brant stehenlassen! Abgeschlossen? Warum dachte sie bloß an solche Lappalien? Sie bemühte sich, ihre Gedanken zu ordnen, etwas Sinnvolles zu denken, sie wollte versuchen, Hanno zum Reden zu bringen. Ihr fiel nichts ein. Sie hörte nur ihre eigenen Schritte und die schwereren von Hanno. Rauschen in den Bäumen, Regen, Atmen. Sonst kein Laut. Sie gingen nun wieder schneller, als wäre jemand hinter ihnen her.
    »Hanno! Nun lauf doch nicht so, als würden wir gejagt! Bitte!«
    »Wenn es dir nicht paßt, kannst du ja auf die anderen warten!«
    Julia atmete tief durch. Nur nicht mit gleicher Münze heimzahlen, ruhig bleiben, sagte sie sich. »Darum geht es doch nicht. Ich komme ganz gut mit. Aber ich dachte, wenn wir reden wollen...«
    »Ich will nicht reden.«
    Sie schwieg. Überlegte.
    »Ich will nicht reden, nicht reden! Nun schau, schau doch nicht so vorwurfsvoll! Das, das ertrage, ertrage ich nicht!«
    »Geht das denn schon wieder los, Hanno?! Nun hör doch mal mit dieser dämlichen Stammelei auf...«
    Sie bereute den Satz in demselben Moment, in dem er ihr herausgerutscht war. O Gott, wie blöde sie doch war. Der Wein... »Hanno, entschuldige, ich...« Sie legte die Hand auf seinen Arm, er riß sich so gewaltsam los, daß sie fast gestolpert wäre.
    »Nein, Madame, keine, keine Ursache, sich zu entschuldigen. Du, du hast es doch so gemeint, das weiß ich doch!
Du hast es genau so gemeint, wie du gesagt hast, stimmt’s? Ich kenne euch doch! Du hast wohl Mitleid mit mir, mit mir gehabt, was?«
    Er schrie jetzt, er schrie sie an, ohne innezuhalten. »Nein, keine Ursache! Ich weiß doch, was ihr, ihr von mir denkt. Aber ihr werdet euch wundern, alle noch wundern, werdet ihr euch, über den armen, armen Ossi!«
    Seine Stimme klang schrill und seltsam kindlich. Ein vor Wut zitternder Junge war da neben ihr, der noch größer wirkte als gewöhnlich. Er hatte plötzlich etwas Unberechenbares, er schwitzte trotz der Kühle der Nacht, und da begriff Julia, warum manche Leute im Dorf Angst hatten vor Hanno Minarek.
    Es schien, als hätten Julias unbedachte Worte einen Damm gebrochen. Alles, was Hanno so lange für sich behalten, in sich hineingefressen hatte, brach nun aus ihm hervor.
    Hanno sprach. Von seinem immerwährendem Kampf. Von seinem Kampf gegen die Gleichgültigkeit und Passivität der anderen. Die bloß zusahen, wie alles langsam den Bach hinunterging. Die sich noch leid getan hatten, kurz nach der Wende, während er, Hanno, seinen Partner schon zu einem Rentabilitätsgutachten überredet hatte.
    »Ja, so hieß das, verstehst du. Ren-ta-bili-täts-gutachten. Es gab tausend Neuerungen - tausend, aber ich wollte das alles begreifen. Ich mußte, mußte, mußte es begreifen. Die Tierarztpraxis sollte überleben, verstehst du?« rief Hanno, »Dazu war ich fest entschlossen, und es war klar, daß es nicht einfach so weitergehen konnte wie bisher. Bohnen hat sich totgestellt. Der hat die rückläufigen Einnahmen einfach übersehen. Und Hilda? Ach, Hilda! Ach, mein schönes Schwesterchen! Die hat angefangen, vom großen Geld zu träumen. Wohlstand!« Er äffte jetzt Hilda nach. »Wohlstand ist die Freiheit, wählen zu können! Aber sie hat sich
verloren, verdammt noch mal, verloren hat sie sich in ihren Träumen. Immer mehr Träume, immer weiter weg von dem, was wirklich ist! Kurse hat sie belegt, Fortbildungskurse in Betriebswirtschaft, die haben nichts gebracht! Nichts! Aber eine Menge Geld verschlungen. Und wir kriegen jetzt jeden Monat ein Managermagazin ins Haus gebracht.« Er lachte höhnisch und bitter. »Alle sind außer Rand und Band geraten, nach der Wende, alle, alle, und ich, ich habe mich so verdammt allein gefühlt.«
    Hanno schlug die Hände vors Gesicht. Julia wollte ihn trösten, irgend etwas sagen, ihm die Hand auf die Schulter legen, ließ es. Hanno redete.
    »... Denn ich wollte ja gar nichts Besonderes, ich wollte nur weiterhin meinen Beruf ausüben. Eure schönen Reden, die haben nichts genutzt, gar nichts! Zuerst habe ich mich ja bloß gewundert, daß der neue Staat sich gleich auch um die Tierärzte gekümmert hat, ich Idiot habe mich noch gefreut! Aber was die neuen, die Bonner Herren dazu zu sagen hatten, das klang auch nicht viel besser als das alte Gequatsche vom Politbüro. Broschüren, ja,

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