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Ostseeliebe

Ostseeliebe

Titel: Ostseeliebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Jaskulla
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selbst reichlich unbeholfen
vor. Ihre Worten blieben in der Luft stecken, sie spürte, daß sie Hanno nicht erreichten. Im Gegenteil! Der regte sich noch mehr auf. Ruckartig blieb er unter einer blassen Straßenlaterne stehen. Der Regen war wieder stärker geworden, als er Julia bei den Schultern packte und kräftig schüttelte.
    »Hör auf! Du tust mir weh!«
    »Hör mal genau zu, genau zu, kleine Dame: Du sagst, meine Arbeit zählt für dich, ja? Du weißt doch gar nicht, wovon du redest! Du hast zu viele Romane gelesen! Aber das hier ist nicht Strittmatter, verstehst du, das ist nicht Fontane! Würdest du etwa hierbleiben, mir in der Praxis helfen, das Schweineblut aus meinem Overall waschen? Nein! Dir könnte man ja nicht mal zumuten, mich vom Betrieb abzuholen oder mir’n paar Ampullen vorbeizubringen …«
    Julias erinnerte sich daran, wie sie Hanno einmal hatte abholen wollen. Mit Scham dachte sie daran, aber auch mit Wut. Niemand hatte sie darauf vorbereitet, was sie in dem riesigen landwirtschaftlichen Betrieb, der ehemaligen LPG, zu sehen bekommen würde.
    »Ich hab’s nicht gewußt, Hanno«, sagte Julia jetzt. »Ich hab einfach nicht gewußt, wie es da aussieht, in so’nem Betrieb. Ich hatte keine Ahnung.«
    Schon lange, bevor sie die Gebäude sah, hatte sie es riechen können. Es war ein Mastbetrieb, eine Anlage für fast zwanzigtausend Schweine, die einzige in dieser Größe, die hier noch existierte, die einzige, die sich rechnete. Es ätzte in der Nase, brannte in den Augen, und als Julia die Nase im Ellenbogen verbarg, merkte sie, daß ihre Jacke den Geruch sofort angenommen hatte. Ein öder Hof. Niemand zu sehen. Mehrere Hallen, flach, ohne Fenster. Ein großes Eingangstor. Lärm dahinter. Trampelnde Unruhe. Die Tür ging auf. Ein Pfuhl verschluckte sie. Die riesige Halle war fast dunkel,
obwohl lange Reihen von Neonröhren brannten. Ein dicker, klebriger Nebel quoll durch den Raum und legte sich ätzend auf die Lungen. Julia hustete, mußte würgen. Die Luft war feucht, sofort trat ihr Schweiß auf die Stirn, es war heiß, und der bestialische Gestank überwältigte sie. Eine Gestalt im weißen Overall tauchte im Nebel auf. Julia wollte auf sie zugehen, wollte rufen - und rutschte beinahe aus. Der Betonboden war naß und glitschig. Hinter einer Absperrung nahm sie die Schweine wahr. Tausende von Sauen, dicht an dicht. Die gut hüfthohen Tiere drängten unruhig durcheinander, schoben und traten sich; wenn eines nicht weiterkam, biß es das andere zur Seite. Eine große tierische Wut. Julia sah genauer hin. Viele hatten anstelle der Schlappohren nur noch blutige Stummel, verkrustete Augen. Viele humpelten. Sie brechen sich die Beine, dachte Julia. Weil die Schweinehufe auf dem glatten Boden keinen Halt finden, rutschen sie aus und brechen sich die Beine.
    »Die Schweine«, sagte Julia, »diese vielen armen Schweine. Die sind einfach so durcheinandergetaumelt, viele sind gefallen, andauernd...«
    »Du hast wirklich überhaupt keine Ahnung, null, gar nichts!« sagte Hanno. »In dem Betrieb ist alles schon viel besser geworden.« Seine Stimme wurde lauter. »Viel, viel besser, verstehst du? Es ist gut! Es ist ein guter Betrieb! Früher, da hat es häufig kein Futter gegeben, dann haben die Tiere gehungert und sind in ihrer Qual die Wände hoch. Ja, buchstäblich die Wände hoch! Und haben sich dabei natürlich das Rückgrat gebrochen. Andere, stärkere, fielen dann über sie her, zerfleischten sie. Davon redet kein Mensch! Die moderne Form der Massenhaltung hat die Tiere zu Kannibalen gemacht. Nicht genug damit, daß man sie mit Tiermehl, mit ihresgleichen also, füttert; nein, weil es immerzu dunkel ist in diesen Hallen, haben die Schweine jede Orientierung verloren. Weißt du, was das heißt, zwischen solchen
Tieren zu stehen? Alles reizt sie, macht sie aggressiv, ständig brüllen sie, werfen die Köpfe hin und her, schnappen nacheinander. Schweine, weißt du« - jetzt wurde Hanno wieder ruhiger -, »Schweine, weißt du, verfügen über einen besonders feinen Geruchssinn, und in freier Natur sind sie ständig unterwegs, kundschaften ganze Wälder aus auf der Suche nach Nahrung. Die fressen nicht alles! Die sind clever! Aber das heißt: Sie müssen laufen, ganz viel laufen. Darauf konnte natürlich so ein landwirtschaftlicher Betrieb im Sozialismus keine Rücksicht nehmen. Hier ging es um Ergebnisse, verstehst du! Das ist doch was für euch im Westen! Bei uns ging es um die Erfüllung des

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