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Ostseeliebe

Ostseeliebe

Titel: Ostseeliebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Jaskulla
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Praxis, sie verfolgte hundertgrammweise, wie die Nachfrage sank. Und deshalb waren stinkende Tage für Julia gute Tage.
    In Gedanken versunken, gingen sie wieder in die Gaststube; dort waren mittlerweile noch andere Gäste angekommen.
    Hilda saß jetzt mit am Tisch, in einem offenbar maßgeschneiderten Reitkostüm, die unvermeidlichen gelben Handschuhe neben sich auf dem Tisch. Sie habe Denver,
Willems alten Wallach, vor der Hintertür »geparkt«, sagte sie lächelnd und wie zur Entschuldigung, als sie die bewundernden Blicke von Jeanette bemerkte. Sie schüttelte die feuchten blonden Haare aus. Bei diesem Wetter sei auf das treue Pferd noch am meisten Verlaß! Sie freute sich wie ein Kind darüber, daß der Pferdezüchter ihr das alte Tier überlassen hatte. Und überhaupt hatte sie strahlende Laune. Sie war, so verriet sie schnell, am Wochenende in Stralsund gewesen und hatte sich dort mit den Herren von Misburg, Mayer und Partner getroffen. Es gehe voran, versicherte Hilda noch schnell, aber mehr erzählen wolle sie jetzt nicht. Ein anderes Mal! Dann schaute sie zu Hanno, der hereingekommen war und sie scharf musterte:
    »Na, Schwesterchen, wieder unterwegs gewesen?«
    Am Nachbartisch saßen Leute, die Julia nicht kannte, mit Doktor Bohnen zusammen, Hannos ehemaligem Partner, der jetzt in der Tierklinik auf der großen Insel arbeitete. Zwei, drei andere Tische waren ebenfalls besetzt, Zigarettenrauch stieg auf, lebhaftes Gemurmel mischte sich dazu, der Geruch von schweren Soßen, von Braten und frischen Kräutern. Bei Marianne Brant ließ es sich gut sein. Die Chefin selbst servierte die Speisen. Die Ärmel ihres phantastischen Gewandes hatte sie grob zurückgekrempelt, als wäre es eine Arbeitermontur, und so balancierte sie drei gut gefüllte Suppenteller auf dem kräftigen Unterarm.
    »So, Herrschaften! Laßt es euch schmecken! Denn ihr wißt ja und habt es vernommen: Viel Nahrung trägt der Armen Acker/Doch Habe wird entrafft, wo kein Gericht!« Und, als sie Jeanettes verblüfften Blick bemerkte, fügte sie noch rasch hinzu: »Rätsel! Mischle!« und verschwand wieder in der Küche.
    Sie kauten mit vollen Backen. Sven, Iris’ Mann und offensichtlich der neue Koch, hatte sich an die seltsamen Vorgaben Mariannes gewöhnt, ja, er verstand sogar, daraus wirklich
ungewöhnliche Speisen zu bereiten. Und als Julia einen prüfenden Blick auf Jeanette warf, stellte sie fest, daß auch sie kräftig zulangte und daß sie den kleinen Gänsevorfall längst wieder vergessen hatte. So war sie, sie fand sich zurecht. Und auch Marianne Brant bezog Jeanette ganz selbstverständlich in das Gespräch mit ein, als sie schließlich mit vielen Kaffeetassen auf einem riesigen Tablett zu ihnen an den Tisch wogte. Marianne hatte große Pläne mit ihrer abgelegenen Wirtschaft, so deutete sie an, und da kam es ihr gerade recht, daß Anne Bult und ihre Freunde aus dem Ladestein-Nachlaß vorlasen. Mit diesem nichtsnutzigen Charmeur und seiner Gebrauchsliteratur hatte sie zwar nichts im Sinn, immerhin bedeutete das neuerwachende Interesse an seinem bescheidenen Werk, daß es auch für sie und ihre Kunst ein waches Publikum gebe. Also setzte sie sich dazu, und abwechselnd lasen sie aus den Briefen und Notizen vor, und selbst Johannsen traute sich, etwas vorzutragen. Ausgerechnet den Pferdezüchter erwischte es dann mit einer Passage, die Ladestein selbst am Rand mit »erotisch! Obacht« gekennzeichnet hatte. Johannsen kriegte rote Ohren, als er den Text überflog, aber jetzt, erwärmt vom Essen und den ersten Schnäpsen, bestanden die anderen natürlich erst recht darauf, daß er - und nur er! - es läse. Also las er. Ladestein, der Verwegene, hatte sich ein Stück aus der griechischen Mythologie vorgenommen, um wer weiß wem zu imponieren. Um nichts anderes ging es als um »Die Genese der vier Winde«.
    »Meine Güte!« sagte Anne Bult, »Ging es nicht vielleicht eine Nummer kleiner...«
    Ging es offenbar nicht. Ladestein hatte das Exposé für ein Drama geschrieben, in dem Boreas, der Nordwind, die Hauptrolle spielen sollte. Boreas war aber nicht einfach ein Wind, nein, der tückische Ladestein hatte die Handlung mehr oder weniger in die Gegenwart verlegt, und da war der stürmische Wind ein Fremder, den es auf eine einsame
Insel verschlagen hatte. Weil er die Bewohner des Eilands - vor allem ein junges, hübsches Mädchen, in das er sich verliebt hatte - nicht erschrecken wollte, versuchte er eine Zeit lang, seine Windsnatur zu

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