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Ostseeliebe

Ostseeliebe

Titel: Ostseeliebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Jaskulla
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unterdrücken. Aber die morgendlichen Tänze der Jungfrauen, die am Strand die aufgehende Sonne begrüßten - das war doch zu viel für sein wildes, windiges Herz. Er vergaß die gutgemeinten Ratschläge Heras, seiner Mutter, und verschleppte das Mädchen, das er liebte, kurzerhand in eine einsame Schlucht, wickelte es in eine Wolke und schändete es. Und damit nicht genug! Auch auf eine dort lebende, lilienhaarige Nymphe, die Geliebte des Flöte spielenden Pan, fiel sein lüsternes Auge. Doch die Nymphe verweigerte sich ihm. Voller Zorn schleuderte er das arme Geschöpf gegen einen Felsen, woraufhin es sich augenblicklich in eine Kiefer verwandelte. Unter der Gewalt des nördlichen Windes vergießt die Kiefer heute noch Tränen! - Den Schluß des absonderlichen Spiels sollte ein Auftritt aller Tänzer als Kiefernballett bilden, herbeigezaubert von dem trauernden Pan, und die Bäume sollten mit ihren Zweigen auf den olympischen Bösewicht einschlagen, bis das Blut von der Bühne troff.
    »Kinnings, watt für ein Blödsinn!« fügte Weber, leicht beklommen, hinzu und nahm erst einmal einen kräftigen Schluck.
    »Der größte Teil dieses Blödsinns ist allerdings beste Antikenliteratur«, erwiderte Anne ein wenig spitz.
    Julia war klar, was der liebeskranke Ladestein mit der Sache beabsichtigt hatte. Er hatte seiner geliebten Malvine ein Denkmal setzen wollen. Denn Oreithya, das junge Mädchen, war bei ihm nicht die Tochter des Königs von Thrakien, sondern die beste aller Tänzerinnen, keine Prinzessin, sondern eine Ausdruckskünstlerin, die auf der Insel ein sagenhaftes Reich der Schönheit aufbaute. Man merkte freilich, daß Ladestein, dieser Liebhaber des Kleinen und des
Kuriosen, weder von Ästhetik noch vom Choreographieren viel verstand. Sein Tänzerinnen-Reich war eine Mischung aus pompösem Märchenschloß, mittelalterlicher Kathedrale und Hänsel und Gretel... Und Boreas, den Wind, den wollte er natürlich am liebsten selbst tanzen, das hatte er in den Anmerkungen zum Stück ausdrücklich vermerkt! Also hatte er sich für diese Rolle nur ein paar gravitätische Schritte ausgedacht, dazu jede Menge salbungsvolle Verse. Für den Notfall, daß er selbst mit Regiearbeiten und organisatorischem »Krimskrams« zu beschäftigt sein würde, hatte er die Rolle einem eher pummeligen, schwarzlockigen Dresdner Schauspieler zugedacht, und die Vorstellung, ein dicklicher, sächselnder Windsgott spräche hochtrabende Verse, war zu komisch! Sie lachten Tränen, als sie sich das gegenseitig vorlasen, und es dauerte viele Flaschen Wein, bis sie sich wieder beruhigten. Die meisten anderen Gäste hatten längst die Wirtsstube verlassen, der Koch hatte seine Küche geschlossen und sich mit seiner Frau fast unbemerkt dazugesetzt, als Marianne Brant plötzlich ganz nüchtern wurde. Ohne ihren üblichen biblischen Tonfall sagte sie mit ihrer dröhnenden Stimme in die Runde:
    »Ich glaube, ich hab’ da noch was! Ich habe immer gedacht, es hat keinen Wert für die Gedenkstätte, aber, wenn ich euch so reden höre...«
    Erstaunlich behende raffte sie ihr Gewand zusammen und verschwand. Iris und Sven begannen abzuräumen, die anderen warteten neugierig, aber Marianne blieb verschwunden.
    »Bestimmt ist sie über ihren Koffern eingeschlafen!«
    »Koffer? Will sie umziehen?«
    »Ach was,« sagte Anne Bult. »So ist sie eben. Man weiß ja nie, was noch kommt. Also wappnet sie sich, in dem sie ihre wichtigste Habe in Koffern verstaut und regelmäßig durchsieht.«

    »Und dabei verliert sie sich dann in dem Kram?«
    »Nenn es, wie du willst! Sie hat mir mal anvertraut, daß sie das regelmäßig macht. Als eine Art Seelenhygiene, hat sie gesagt: Sie packt alles, was ihr wichtig ist, in zwei Koffer. Zwei! Mehr sind nicht erlaubt. Und dadurch lernt der Mensch, sich zu beschränken. Das Witzige ist nur: Marianne hält das nicht aus, weil sie nämlich eigentlich eine Sammlernatur ist. Also hat sie zu ihren zwei genau gleichen Koffern noch ein Kofferpaar angeschafft, und dann noch eins und noch eins...«
    »Sie bescheißt sich also selbst!« Jeanette war sichtlich fasziniert. »Und es sind alles genau gleiche Koffer?«
    »Immer paarweise. Immer zwei baugleiche Koffer.«
    »Ich finde das großartig«, sagte Hilda nachdenklich dazwischen. »Ich meine, sich regelmäßig so Rechenschaft darüber abzulegen: Was brauch ich, was brauch ich schon lange nicht mehr...« Sie sprach nicht weiter, schien zu träumen.
    »Kinnings, watt für ein Blödsinn!«

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