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Ostseeliebe

Ostseeliebe

Titel: Ostseeliebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Jaskulla
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Plansolls...«
    »Ich weiß, Hanno, ich weiß«, sagte Julia jetzt erschöpft. »Ich wollte mit dir auch nicht über Schweine reden, das war ganz schrecklich, und am liebsten würde ich nicht mehr daran denken! Ich wollte über uns...«
    »Hör mir gefälligst zu! Hör mir einmal zu! Weißt du denn auch, wofür ein Tierarzt da war, ja? Weißt du das zufälligerweise auch?… Siehst du! Produktivität! Ein Tierarzt war hauptsächlich dazu da, die Produktivität zu erhöhen. Du warst Teil des Betriebs, Du warst Teil dieses ganzen kaputten, maroden Systems… Und wie! ›Weisungsberechtigt‹ waren wir, holla, danke der Ehre! Waren die Ställe winterfest zu machen? Die Tierärzte befahlen es. Entsprach das Futter den Qualitätsansprüchen?« Hanno lachte wieder böse. »Die Tierärzte bestimmten es. Und Versprechungen haben wir gemacht, andauernd! Und schriftlich! Um diese verdammten Prämien zu kriegen oder’ne Zusatzrente irgendwann. Hiermit verspreche ich, Hanno Minarek, die ›Ferkelmortalität‹ zu senken. In einem Jahr um fünf Prozent. Und dann haben wir gekämpft. Und geimpft. Einmal in der Woche Impftag. Rinder, Sauen, Ferkel. Diese Tiere hier haben nicht mal ein Bündel Stroh zu sehen bekommen. Nichts mit Heidschibumbeidschi und Liebe zur Kreatur
und artgerechter Haltung! Es steht mir bis hier! Bis hierher steht es mir...«
    Julia wurde die Bilder nicht los. Und nicht die Erinnerung. Die Erinnerung an den Würgreiz, der sie gequält hatte, in den doch angeblich schon besseren Verhältnissen. Die Erinnerung an die mit Kot beschmutzten Tiere. An ihre unnatürlich helle Haut. Die Tiere kamen nie mehr nach draußen, hatte Hanno ihr erklärt. Das machte sie empfindlich. Deshalb die vielen Seuchen, deshalb die vielen Medikamente. Deshalb die vielen Rechtfertigungen bei den Betriebsversammlungen, deshalb der Druck. Einen Haß kriegte man...
    »Haß, ja Haß!« Hanno neben ihr auf der Landstraße wirbelte herum, schrie sie an. »Haß, Haß! Ja! Auf dieses ganze verdammte System, weil das überhaupt nichts mit den Tieren zu tun hatte, verstehst du? Und dann kommt eure vielgerühmte Wende, die Wende! Und dann kauft ihr den ganzen Laden einfach auf, war ja billig, war ja so billig! Und was hat sich geändert? Nischt! Jetzt sind die Holländer hier und machen es genau so, nur daß keiner mehr das Fleisch haben will und daß keiner mehr weiß, wofür das alles, wofür, wofür, ach...!«
    Sein Gesicht war verzerrt und so voller Anstrengung, wie Julia es bei ihm zuletzt in dem Mastbetrieb gesehen hatte. Damals war sie geflohen - vor Hanno, vor dem Gestank, vor dem Anblick der hoffnungslosen Tiere, dieser zwanzigtausendfachen übel riechenden Verzweiflung.
    »Du erzähl mir nicht, du wüßtest, worum es geht, und du würdest bei mir bleiben und so’n Scheiß. Nichts weißt, nichts weißt du! So wie dein piekfeiner Dichter, der hat sich doch auch nie die Finger schmutzig gemacht. Erlebnistourismus, ja?! Würdest du auch nur einen Köter festhalten, den ich einschläfern muß? Ja?! Würdest du das? Die abgeschnittenen Eier von’nem Kater entsorgen, ja? Tote Katzenbabies wegschmeißen, ja?! Oder läufst du nur vor Sauen
weg? Aber weißt du, es gibt hier fast nur noch Sauen! Das habt ihr auch sauber hingekriegt! Früher hatten wir wenigstens noch Schafe, und ein paar Sorten Schweine mehr hatten wir auch. Aber mit euch wird es jetzt ja erst richtig, richtig, richtig effektiv!«
    »Du bist grob!«
    »Ja, ich bin grob! Genau, das, das bin ich! Ich bin nämlich ein Pferdeschlächter, ha-ha!« Er lachte irre, und für einen Augenblick überlegte Julia wegzulaufen.
    »Ach, scheiß drauf, was soll’s!« Ebenso plötzlich, wie er sie gepackt hatte, ließ er sie wieder los. »Vergessen wir’s! Du hattest deinen Spaß, hoffe ich. Ich hatte jedenfalls viel Spaß. Mit meinem Westfräulein...«
    Julia vergaß das Atmen. Was hatte er da eben gesagt? In ihren Ohren begann es zu rauschen.
    »Es hat keinen Sinn«, sagte Hanno, plötzlich ganz ruhig. Es hatte keinen Sinn. Sie hatte keinen Sinn. Sein Beruf hatte keinen Sinn. Die jahrelange Anpassung, um überhaupt an einen Studienplatz zu kommen. Schlechte Aussichten, wenn im Kaderbogen bei den Eltern »I« eingetragen war oder »S«: »I« wie »Intelligenz« und »S« wie selbständig. Das Bildungsprivileg mußte gebrochen werden! Gut, wenn die Eltern Arbeiter waren. Siebzig oder achtzig Studienplätze gab es. Leipzig. Berlin. Die Studienzeit. Sich nicht gefährden. Durchkommen. Aushalten.

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