Ostwind (German Edition)
Wohnungstür. Davor standen zwei uniformierte Polizeibeamte mit ernsten Mienen. Einer hielt wortlos eine Klarsichttute hoch, in der ein verkohltes Eckchen Zeugnis zu sehen war. »Mika Schw…«, stand deutlich lesbar auf dem Papierrest. Das Lacheln auf Elisabeths Gesicht versiegte.
Was folgte, war ein langes und ernstes Gespräch hinter der geschlossenen Wohnzimmertür. Als die Polizisten endlich wieder gegangen waren, wurde Mika von ihrer Mutter mit frostigen Worten ins Wohnzimmer zitiert. Mika hatte sich noch nie so allein gelassen gefühlt. Trotzig setzte sie sich aufs Sofa.
»Brandstiftung sei ein ernst zu nehmendes Warnzeichen. Vor allem bei Schulversagern«, wiederholte Mikas Mutter die Worte der Polizisten und rang mit den Händen. »Schulversager! Meine Tochter!«
Mikas Vater, Phillip, versuchte seine Frau zu beruhigen. »Elli, immerhin war dieser Lehrer doch ganz kooperativ. Mika darf die Nachprufung machen, und wir ubernehmen den Schaden ohne ein weiteres Verfahren …«, redete er beschwichtigend auf sie ein.
»Das war echt ein Unfall!«, fuhr Mika auf.
»Setz. Dich. Hin«, erklärte ihre Mutter eisig.
Enttäuscht nahm Mika wieder Platz und senkte den Kopf. Was sollte sie jetzt tun? Auf keinen Fall wollte sie die Schuld auf Fanny schieben. Und auch die beste Ausrede hätte keinen Sinn gehabt, denn ihre Eltern hörten ihr ja nicht einmal zu. Wenn sie doch wenigstens mit ihr geredet hätten und nicht nur über sie!
»Also, den Kongress konnen wir unmoglich noch absagen. Du bist die Hauptrednerin, Elisabeth«, sagte Mikas Vater.
Elisabeth lief unruhig durch das Zimmer. »Aber dieses Ferienlager ist wohl kaum der richtige Ort, um in Ruhe und mit Disziplin fur die Nachprufung zu lernen«, überlegte sie laut.
Konnte das denn wahr sein? Jetzt redeten sie schon so, als säße sie nicht im selben Raum, ärgerte sich Mika. »Aber ihr habt mir versprochen, dass ich mit Fanny –«, versuchte sie zu erklären.
»Du hast hier nichts mehr mitzureden!«, erklärte Mikas Mutter bebend vor Wut.
Das war zu viel! Mika sprang auf und rannte aus dem Wohnzimmer. Dabei knallte sie die Tür, dass die Wände wackelten.
Erschöpft sank Elisabeth auf das Sofa. »Was machen wir denn jetzt nur?«, fragte sie. Sie klang ehrlich ratlos.
Mikas Vater hatte eine Idee. Aber er wagte es kaum, sie auszusprechen. »Ich wusste da jemanden«, sagte er schließlich.
Elisabeth machte ein fragendes Gesicht. Doch dann schien sie zu begreifen. Sofort schüttelte sie trotzig den Kopf. »Nein, auf gar keinen Fall«, sagte sie entschieden.
Im nächsten Moment war aus Mikas Zimmer ein lauter Wutschrei zu hören. Dann das Krachen von Gegenständen auf den Zimmerboden. Zitternd vor Enttauschung hatte Mika Taucherbrille, Flossen, Beachballschlager – alles was sie bereits für die Reise zusammengelegt hatte – quer durchs Zimmer gefegt.
»Denk doch nur mal kurz daruber nach«, bat Mikas Vater seine Frau im Wohnzimmer.
Wieder schepperte es in Mikas Zimmer.
Elisabeth nahm ihr Rotweinglas vom Tisch und trank es in einem Zug leer. Einen sehr langen Augenblick starrte sie vor sich hin ins Leere. Dann nickte sie.
Phillip stand auf und ging zu Mikas Zimmer. Vorsichtig öffnete er die Tür. Mika saß mit roten Augen auf ihrem Bett, die Arme um die Knie geschlungen. Um sie herum herrschte Chaos.
»Wir haben eine Entscheidung getroffen«, sagte Mikas Vater. »Du verbringst die Ferien bei deiner Großmutter.«
Mika sah auf. »Auf dem Friedhof?«
Mikas Vater lachelte schwach und schuttelte seufzend den Kopf. »Du hast noch eine andere Großmutter«, erklärte er.
Mika sah ihren Vater mit großen Augen an. Denn von dieser anderen Großmutter hatte sie noch nie in ihrem Leben gehört.
3. Kapitel
Gleich am nächsten Tag wurde Mika von ihren Eltern in den Zug gesetzt. Mikas Mutter hatte sie zum Abschied fest umarmt. Unruhe und Zweifel hatten dabei in ihrem Blick gelegen. Dennoch hatte sie ihre Entscheidung nicht zurückgenommen.
Die Verabschiedung von Mikas Vater war herzlicher ausgefallen. Es war ganz offensichtlich, dass er seine Tochter nur ungern fortschickte. Bevor Mika in den Zug stieg, hatte er ihr noch eine Tüte mit Büchern zugesteckt, damit sie sich auf der Fahrt nicht langweilte.
Als Mika einen Platz gefunden hatte, untersuchte sie den Inhalt. Der Titel des ersten Buchs, das ihr in die Hände fiel lautete: Knobeleien der Quantenmechanik .
Mika seufzte. Dann lehnte sie sich zuruck und dachte nach. Wohin würde ihre Reise gehen?
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