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Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten

Titel: Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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begann – um mit dem ganzen Nachdruck eines beharrlichen Kotkugelrollers klarzustellen, er habe nie den geringsten Zweifel gehabt, ihn hätten die Vorwürfe gleich stutzig gemacht und so weiter –, erhielt der Gott ein Signal auf einer Sonderleitung nach außen. Sein priesterlicher Lakai, in seiner Litanei der Ehrentitel nach den ersten paar Singsangphrasen rüde unterbrochen, verkündete, daß Anubis eine dringende Mitteilung zu machen habe.
    Ohne daß die anderen seine abgelenkte Aufmerksamkeit bemerkten, nahm Osiris den Bericht seines Untergebenen entgegen, während der Käfermann weiter seine Leier abspulte. Sein junger Diener wirkte merkwürdig beherrscht, was Osiris ein wenig beunruhigte. Nach einem solchen Triumph hätte Dread eigentlich sein übelstes großspuriges Gehabe an den Tag legen müssen. War er in Atascos Dateien auf etwas gestoßen, was ihn auf dumme Gedanken gebracht hatte?
    Zudem bestand das Problem des tatsächlichen Gegners, der Person, die die TMX-Sicherheitsvorkehrungen so klug unterlaufen und Paul Jonas befreit hatte. Allein darüber würde er viele Stunden eingehend nachdenken müssen. Aber sei’s drum: Osiris hatte gewußt, daß es irgendwo da draußen einen Feind gab, und in gewisser Hinsicht freute er sich darüber. Die Amerikaner hatten sich jedenfalls als untaugliche Herausforderer erwiesen.
    Als Anubis mit seinem Bericht fertig war und sich abmeldete, gebot Osiris mit seiner mullumwickelten Hand Ruhe. Chepri brach mitten in seiner Lobeshymne ab; er blieb einen Moment lang verdattert stehen und ließ sich dann auf seinen Stuhl nieder.
    »Vielen Dank, lieber Freund, für diese erhebenden Worte«, sagte der Gott. »Ich werde sie niemals vergessen. Aber jetzt habe ich eine frohe Botschaft für euch. Wie ich soeben erfahre, wurde das Luftgottprojekt erfolgreich zum Abschluß gebracht. ›Schu‹ ist mitsamt seinem inneren Zirkel neutralisiert worden, und wir sind im Besitz seines Systems. Die Verluste – an Daten – sind geringfügig und die Aufräumarbeiten beendet. Mit einem Wort, ein voller Erfolg.«
    Der Westliche Palast hallte von Jubelrufen und Glückwünschen wider, und zum Teil waren sie sogar ehrlich gemeint.
    »Ich denke, dies ist genau der richtige Tag, um bekannt zu geben, daß wir in die Endphase des Gralsprojekts eingetreten sind.« Er hob seine andere Hand. Die Wände des Westlichen Palastes versanken. Die Neunheit saß jetzt inmitten einer endlosen, dämmerigen Ebene. »In nur wenigen Wochen wird unsere Arbeit abgeschlossen sein und werden wir endlich die Früchte unserer langen Mühen ernten können. Das Gralssystem kann binnen kurzem in Betrieb genommen werden. Jetzt sind wir wahrhaft Götter geworden!«
    Ein roter Schimmer erschien am fernen Horizont. Osiris breitete seine Arme aus, als ob er ihn hervorgerufen hätte – was auch tatsächlich der Fall war. Ein dramatischer Paukenwirbel erscholl, ein donnerndes Crescendo vieler Schlaginstrumente.
    »Freut euch, ihr Mitglieder der Brüderschaft! Unser Tag ist gekommen!«
    Die große Scheibe der aufgehenden Sonne stieg langsam zwischen die Gestirne empor, bleichte den Himmel, goß Gold über die Ebene und badete die hungrigen, erhobenen Tiergesichter in Feuer.
     
     
    > Der Hafen war nur eine kurze Strecke von der breiten Eingangstreppe des Palastes entfernt, vielleicht weniger als eine halbe Meile, nach den Takelagelichtern zu urteilen, die zwischen den Gebäuden glitzerten. Orlando und seine neuen Gefährten taten ihr Bestes, eine geschlossene Gruppe zu bilden, bevor sie sich zu Fuß auf den Weg machten.
    Der totale Scän! tobte Orlando innerlich. Das hier ist eine VR-Simulation, die gewaltigste, von der je ein Mensch gehört hat – und wir müssen zu Fuß gehen! Aber etwaige Hintertürchen für einen augenblicklichen Ortswechsel oder sonstige nützliche Tricks zur Realitätsgestaltung, die in die Struktur von Temilún eingebaut sein mochten, blieben Orlando und den anderen verschlossen. Wenn wir bloß einen der Atascos dabeihätten…
    Sie marschierten so schnell, wie sie konnten, ohne sofort den Eindruck ängstlicher Hast zu erwecken. In der Stadt herrschte zu dieser frühen Abendstunde reges Leben: Auf den Straßen wimmelte es von motorisierten und pedalgetretenen Fahrzeugen, die steinernen Bürgersteige waren voll von temilúnischen Bürgern auf dem Heimweg von der Arbeit. Doch selbst in diesem Gedränge von Pseudomenschen erregte die Fußgängerschar Aufmerksamkeit. Das war kein Wunder, fand Orlando, denn es

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