Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer
was ihnen in die Quere gekommen war, zu Brei und Staub zermalmt hatten.
Mehrere der Tiktaks waren ebenfalls zerstört worden. Einer war anscheinend aus großer Höhe fallengelassen worden; seine Überreste, zerschmetterte Blechteile und Uhrwerksfedern, lagen unmittelbar vor der Scheune sternförmig im Umkreis von zehn Metern verteilt. An der Aufschlagstelle hing noch ein Teil des Rumpfes mit einem Arm zusammen, an dem die Hand sich funktionslos öffnete und schloß wie die Zange eines sterbenden Hummers.
Es spielte keine Rolle, daß Renie die meisten, wenn nicht alle der menschlichen Opfer für künstlich belebte Puppen hielt. Die Zerstörung war herzzerreißend. Sie ließ den Kopf hängen und beobachtete ihre Füße dabei, wie sie durch den niedersinkenden Staub tappten.
Der Tornado war an dem Güterbahnhof des landwirtschaftlichen Arbeitslagers vorbeigegangen, allerdings knapp, denn Renie erblickte seine Vernichtungsschneise nur wenige hundert Meter entfernt. Sie und !Xabbu und Emily 22813 wurden in einen Güterwagen getrieben. Ihre Wächter blieben bei ihnen, was Renie stutzig machte. Es gab im Moment mit Sicherheit weniger funktionierende Tiktaks, oder wie die Dinger sonst hießen, als noch vor einer halben Stunde: Daß sechs davon abgestellt wurden, um sie beide zu bewachen – und Emily, obwohl Renie bezweifelte, daß das Mädchen groß ins Gewicht fiel –, mußte bedeuten, daß ihr Verbrechen für sehr schwerwiegend erachtet wurde.
Oder vielleicht bloß für fremdartig, hoffte sie. Die mechanischen Männer waren offensichtlich keine Intelligenzbestien. Vielleicht war das Auftauchen von Fremden in ihrer Simulation derart ungewöhnlich, daß sie mit panischen Ordnungsbemühungen reagierten.
Der Zug fuhr schnaufend und tuckernd los. Renie und !Xabbu saßen auf dem Bretterboden des Waggons und warteten ab, was als nächstes passieren würde. Emily tat zunächst nichts anderes, als unter den stumpfen schwarzen Augen der Tiktaks händeringend und weinend hin und her zu marschieren, bis Renie sie schließlich bewegen konnte, sich neben sie zu setzen. Das Mädchen war ganz außer sich und redete wirres Zeug, Geplapper über den Tornado, den sie kaum registriert zu haben schien, vermischt mit rätselhaften Auslassungen über ihre ärztliche Untersuchung, die ihrer Meinung nach die Ursache für ihre Gefangennahme war.
Wahrscheinlich hat sie was über uns erzählt, während sie untersucht wurde, überlegte Renie. Sie sagte, die Ärzte seien »Henrys« – Menschenmänner. Sie sind vermutlich etwas aufmerksamer als diese mechanischen Schergen.
Der Zug ratterte dahin. Auf der Innenwand des Güterwaggons flackerte Licht. Trotz ihrer Unruhe nickte Renie ein. !Xabbu saß neben ihr und machte etwas mit seinen Fingern, das ihr zuerst völlig schleierhaft war. Erst als sie aus einem kurzen Schlummer erwachte und einen Moment lang ihre Augen nicht richtig fokussiert bekam, wurde ihr klar, daß er Fadenfiguren ohne Faden machte.
Die Fahrt dauerte nur knapp über eine Stunde, dann wurden sie von ihren Häschern aus dem Waggon auf einen betriebsamen und viel ausgedehnteren Güterbahnhof getrieben. Die großen Gebäude der Stadt, die Renie vorher gesehen hatte, erhoben sich direkt vor ihr, und jetzt erkannte sie, daß sie ihr deswegen merkwürdig vorgekommen waren, weil viele der höchsten nur Stümpfe waren, versengt und abgehackt von einer Macht, die viel stärker gewesen sein mußte als der Tornado, den sie und !Xabbu erlebt hatten.
Die Tiktaks führten sie über die Gleisanlagen, durch die gaffende Masse von Arbeiterhenrys in Overalls, und beförderten Renie und ihre beiden Gefährten schließlich auf die Ladefläche eines offenen Lastwagens. Dieser brachte sie nicht ins Zentrum der verwüsteten Stadt, sondern durch die Außenbezirke zu einem kolossal langen und breiten zweistöckigen Gebäude, das ganz aus Beton zu bestehen schien. Sie wurden vom Laster herunter auf eine Laderampe und von dort zu einem breiten Lastenaufzug geführt. Als sie alle drin waren, setzte sich der Aufzug ohne Knopfdruck nach unten in Bewegung.
Der Aufzug schien minutenlang zu fahren, bis Renie von dem leisen Summen der Tiktaks im Fahrkorb allmählich Zustände bekam. Emily weinte wieder, seit sie auf die Laderampe getreten waren, und Renie fürchtete, wenn das noch länger so ging, würde sie das Mädchen anschreien und damit nicht mehr aufhören können. Als spürte er ihre Anspannung, nahm !Xabbu ihre Hand und schloß seine langen
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