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Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Titel: Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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bißchen gruselig war – all die vielen Augen, die einen beobachteten, wenn man zur Tür hereinkam, all die vielen stillen Gesichter. Zu ihrem nächsten Geburtstag, hatte Mami gesagt, durfte sie sich sogar eine von diesen altmodischen Puppen aussuchen, die dann ihr ganz allein gehören würde, und obwohl ihr Geburtstag noch lange hin war, wäre normalerweise schon allein der Besuch im Seawall Center, das Schauen und Überlegen, welche Puppe sie sich aussuchen sollte, der fraglose Höhepunkt der ganzen Woche gewesen und sie so aufgeregt, daß sie letzte Nacht kaum geschlafen hätte. Aber heute war sie sehr unglücklich, und Herr Sellars meldete sich nicht, und sie hatte ganz doll Angst vor diesem fremden Jungen, den sie gestern nacht wieder draußen vor ihrem Fenster gesehen hatte.
     
    Christabel und ihre Mutter waren in einem Laden, der nichts anderes verkaufte als Sachen zum Grillen, als der Froschkönig aufhörte zu reden und statt dessen die Stimme von Herrn Sellars ertönte. Mami schaute gerade nach etwas für Papi. Christabel schlenderte ein bißchen weiter in den Laden hinein, wo ihre Mutter sie noch sehen konnte, und tat so, als betrachtete sie ein großes Metallding, das mehr wie eine Rakete aus einem Cartoon als wie ein Grill aussah.
    »Christabel? Kannst du mich hören?«
    »Mm-hm. Ich bin in einem Laden.«
    »Kannst du jetzt mit mir reden?«
    »Mm-hm. Kurz.«
    »Wie ich sehe, hast du ein paarmal versucht, mich zu erreichen. Ist es wichtig?«
    »Ja.« Sie wollte ihm alles erzählen. Die Worte fühlten sich in ihrem Mund an wie krabbelige Ameisen, und sie wollte sie alle ausspucken, ihm erzählen, daß der Junge sie beobachtet hatte und daß sie Herrn Sellars nichts davon gesagt hatte, weil es ihre Schuld war, daß sie den Zaun nicht alleine durchbekommen hatte. Sie wollte ihm alles erzählen, aber da kam ein Mann vom Laden auf sie zu. »Ja, wichtig.«
    »Na gut. Kann es bis morgen warten? Ich bin im Moment sehr mit einer Sache beschäftigt, kleine Christabel.«
    »Okay.«
    »Wie wär’s mit fünfzehn Uhr? Du kannst nach der Schule vorbeikommen. Paßt dir die Zeit?«
    »Ja. Ich muß aufhören.« Sie setzte die MärchenBrille genau in dem Moment ab, als der Froschkönig seine Stimme wiederbekam.
    Der Mann vom Laden, der ziemlich dick war und einen Schnurrbart hatte und wie Papis Freund Captain Parkins aussah, bloß nicht so alt, lächelte sie breit an. »Hallo, kleines Fräulein. Das ist ein ziemlich schicker Apparat, findest du nicht? Der Magna-Jet Admiral, das allerneueste Modell auf dem Markt. Das Essen kommt überhaupt nicht mit dem Grill in Berührung. Willst du den deinem Papi schenken?«
    »Ich muß gehen«, sagte sie, drehte sich um und ging zu ihrer Mutter zurück.
    »Einen schönen Tag noch«, sagte der Mann.
     
    Christabel trat so fest in die Pedale, wie sie konnte. Sie hatte nicht viel Zeit, das wußte sie. Sie hatte ihrer Mutter erzählt, sie müsse nach der Schule noch ihren Baum gießen, und Mami hatte gesagt, das dürfe sie, aber bis halb vier müsse sie zuhause sein.
    Alle aus der Klasse von Frau Karman hatten im Chinesisch-Amerikanischen Freundschaftsgarten Bäume gepflanzt. Es waren eigentlich keine richtigen Bäume, noch nicht, bloß kleine grüne Pflanzen, aber Frau Karman meinte, regelmäßig gegossen würden sie eines Tages bestimmt richtige Bäume werden. Christabel hatte ihrem heute auf dem Weg zur Schule eine Sonderration Wasser gegeben, damit sie Herrn Sellars besuchen fahren konnte.
    Sie strampelte so fest, daß die Reifen ihres Fahrrads summten. Sie schaute an jeder Ecke nach links und rechts, nicht wegen Autos, wie ihre Eltern es ihr beigebracht hatten (aber nach Autos schaute sie natürlich auch), sondern weil sie sichergehen wollte, daß der böse Junge nicht in der Nähe war. Sie hatte ihm Sachen zu essen bringen sollen, und ein paarmal hatte sie ihm Obst oder Kekse gebracht und sie für ihn hingelegt, und zweimal hatte sie ihr Schulessen aufgehoben, aber sie konnte nicht jeden Tag den ganzen weiten Weg zu den Betonhäuschen machen, sonst hätte Mami viele Fragen gestellt, deshalb war sie sicher, daß er eines Nachts durch ihr Fenster kommen und ihr etwas tun würde. Sie hatte sogar Albträume davon gehabt, daß er sie mit Schmutz beschmierte, und danach hatten Mami und Papi sie nicht mehr erkannt und sie nicht ins Haus gelassen, und sie hatte draußen in der Dunkelheit und Kälte wohnen müssen.
    Als sie an die Stelle kam, wo die Betonhäuschen waren, zeigte ihre

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