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Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Titel: Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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flacher, als es sich für ihre Größe gehörte, so als ob ein über die Ebene stapfender Riese ihre Häuser im Vorbeigehen so beiläufig gestutzt hätte, wie ein Junge eine Reihe Löwenzahn köpft. Doch auch so war sie das einzige, was dem Horizont irgendeine Kontur verlieh; bis auf ein vorstadtgroßes Areal mit Rohren und Industriebauten am äußersten Rand der Stadt, offenbar ein riesiges Gaswerk, erstreckte sich auf allen Seiten nur flaches Land, ein Flickenteppich aus gelbgrauer Erde und grünen Feldern ohne eine senkrechte Linie. Der Anblick war nicht minder deprimierend als das schlimmste Elendsviertel, das in Südafrika zu finden war.
    Welchen Zweck hat diese ganze großartige Technik, wenn man damit so was baut? Sie war an diesem Morgen dazu verurteilt, schien es, in einen trübsinnigen Gedanken nach dem anderen zu verfallen.
    Renie überlegte, ob sie sich in die Stadt begeben sollten, auch wenn sie noch so bedrückend aussah. Auf dieser Gemüseplantage war wenig zu erfahren, oder zumindest war Emily offenbar nicht in der Lage, ihnen viel zu erzählen – dort in der Metropole mußte doch bestimmt mehr herauszubekommen sein. Wenn sie überhaupt irgendwelche Pflichten hatten, dann die, ihre Gefährten zu finden und nach Sellars’ entflohenem Gralshäftling zu suchen, und im Augenblick taten sie weder das eine noch das andere, sondern hockten auf einem Heuboden fest, der sich zusehends in einen Backofen verwandelte.
    Gelangweilt und unglücklich verzog sie das Gesicht. Sie wollte keinen Kaffee mehr. Sie lechzte nach einem kalten Bier. Aber für eine Zigarette hätte sie einen Mord begangen …
     
    Obwohl der Tag so trostlos und monoton angefangen hatte, passierten am Nachmittag zwei unerwartete Dinge.
    Kurz nach Mittag, als die Luft dermaßen stickig heiß geworden war, daß sie sich wie Suppe atmete, starb Cullen.
    Jedenfalls machte es den Anschein. !Xabbus Ruf, der eher konsterniert als erschrocken klang, holte sie von ihrem Platz am Fenster fort. Der Entomologe hatte schon den ganzen Vormittag über kaum noch auf Ansprache reagiert und war immer wieder in einen tiefen Schlummer gesunken. Jetzt aber regte sich sein Sim gar nicht mehr und lag zwar in derselben Fötusposition, in der er zuletzt geschlafen hatte, doch war er steif wie das Außenskelett einer toten Spinne.
    »Ist er endlich doch noch offline befördert worden«, bemerkte Renie möglichst nüchtern. Sie wußte nicht recht, ob sie es selber glaubte. Die Starrheit des Sims war beklemmend: In unnatürlich verkrümmter Haltung angelehnt sah er aus wie der Überrest eines am Straßenrand vertrockneten toten Tieres. Nachdem sie ihre fruchtlose Untersuchung beendet hatten, schoben sie den Sim wieder in die Position zurück, in der er und der echte Cullen zuletzt ihre Zusammenarbeit aufgegeben hatten.
    !Xabbu schüttelte den Kopf, aber sagte nichts. Ihn schien der Verlust Cullens viel mehr zu bestürzen als sie, und er blieb lange sitzen, eine Pavianhand auf die starre Brust des Sims gelegt, und sang leise.
    Wir wissen es nicht, sagte sich Renie. Wir wissen es nicht mit Sicherheit. Er kann jetzt genausogut offline sein, etwas Kühles trinken und den Kopf über das ganze merkwürdige Erlebnis schütteln. In gewisser Weise war es vom RL gar nicht so verschieden. Wenn man abgegangen war, hatten die Hinterbliebenen keine Gewißheit, nur die unbefriedigende Wahl, blind an ein Fortleben oder an das endgültige Ende zu glauben.
    Und genausogut kann er hier neben uns gelegen haben, während sein wirklicher Körper an Schock und Durst einging – bis er tot war. Er sagte, daß er in seinem Labor warten müsse, bis jemand komme, nicht wahr?
    Es war zuviel, sie konnte jetzt nicht darüber nachdenken – überhaupt fiel ihr das Denken mit jedem Moment schwerer. Die drückende Hitze hatte weiter zugenommen, doch jetzt lag plötzlich noch eine neue, eigenartigere Schwere mit einem geradezu elektrischen Kribbeln in der dampfigen Luft, fast ein Seegeruch, aber wie von einem Ozean, der gerade zu kochen anfing.
    Renie ließ !Xabbu bei seinem Klagegesang neben Cullens Sim allein. Als sie ans Fenster trat, fiel ein Schatten darauf, als ob jemand eine Hand über die Sonne gelegt hätte. Der Himmel, eben noch ein sengendes, blasses Blau, war einige Schattierungen dunkler geworden. Ein steifer Wind rührte den Staub vom Hof zu einzelnen Wirbeln auf.
    Die vier oder fünf Konvoys von Emilys unten blieben auf einen Schlag stehen und starrten mit offenen Mündern zum Himmel

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