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Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Titel: Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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empor, während ihre mechanischen Aufpasser sie surrend und knarrend zum Weitergehen antrieben. Einen Moment lang war Renie aufgebracht über die passiven, lammfrommen Gesichter der Frauen, bis sie sich daran erinnerte, daß sie Sklaven waren, wie es viele ihrer eigenen Leute einst gewesen waren. Man konnte ihnen keine Schuld daran geben, was ihnen angetan worden war.
    Da kreischte eine der Emilys plötzlich: »Es kommt!«, brach aus ihrer Herde aus und eilte auf die Baracken zu, um sich in Sicherheit zu bringen. Mindestens die Hälfte der anderen liefen ebenfalls schreiend in alle Richtungen auseinander, wobei sich einige in ihrer panischen Flucht gegenseitig umstießen. Verwirrt blickte Renie nach oben.
    Der Himmel war auf einmal noch dunkler und auf erschreckende Weise lebendig.
    Inmitten der hohen Gewitterwand, die aus dem Nichts entstanden war und sich jetzt direkt über dem Lager formierte, begann sich eine riesige schwarze Wolkenschlange zu winden. Vor Renies fassungslosen Augen zuckte sie wie ein gezogener Faden zurück, um sich gleich darauf wieder nach unten zu strecken, bis sie fast die Spitze eines der Silos berührte. Der Wind wurde rasch stärker; Kittel, die zum Trocknen an langen Wäscheleinen hingen, flatterten und knallten so laut wie Gewehrschüsse. Einige der Kleidungsstücke rissen sich von der Leine los und flogen wie von unsichtbaren Händen gepackt davon. In Sekundenschnelle veränderte sich der Ton des Windes und wurde erst zischend, bevor er in ein tiefes Brüllen umschlug: In Renies Ohren gab es ein schmerzhaftes Stechen und dann ein Knacken, als der Druck sich änderte. Ringsumher nahm das Licht eine fahle, faulig grüne Farbe an. Über den Hof heulte der Wind noch schneller und trieb peitschenden Getreidestaub horizontal vor sich her.
    »Renie!« !Xabbus überraschter und ängstlicher Ruf hinter ihr war bei dem anschwellenden Tumult kaum zu hören. »Was geht da vor …?«
    Blitze durchzuckten die Gewitterwolken, als die schwarze Schlange sich wieder zwischen Erde und Wolke verdrehte und dabei einen irrsinnigen Tanz aufführte, der wie Ekstase oder Qual wirkte. Das Wort, das seit einer halben Minute in Renies Hinterkopf saß, sprang plötzlich nach vorne.
    Tornado.
    Der Luftschlauch wand sich abermals und stieß dann auf die Erde nieder wie der dunkle Finger Gottes. Einer der Silos explodierte.
    Renie warf sich zu Boden, als ein gewaltiger Trümmerhagel auf die Scheunenwand prasselte. Dachziegelstücke schossen an ihrem Kopf vorbei und zerschmetterten an den Packkisten. Das unablässige Heulen des Windes war ohrenbetäubend. Renie krabbelte nach hinten, bis sie !Xabbus Hand zu fassen bekam. Er schrie, doch sie konnte ihn nicht verstehen. Sie robbten sich schutzsuchend auf Händen und Knien in den hinteren Teil des Bodens, doch die ganze Zeit über versuchte eine Kraft, sie zurück zum offenen Fenster zu saugen. Kistenstapel zitterten und bewegten sich mit winzigen, wackligen Rucken auf das Fenster zu. Draußen war alles ein schwarzes Chaos. Einer der Kistentürme wankte und kippte um. Die Kisten prallten auf und flogen dann wie durch Zauber in die Luft und zum offenen Fenster hinaus.
    »Nach unten!« brüllte Renie in das Ohr des Pavians.
    Sie konnte nicht sagen, ob !Xabbu sie über das turbinenartige Jaulen des Tornados hinweg verstanden hatte, aber er zog sie auf die nach unten ins Erdgeschoß führende Treppe zu. Die Kisten waren zum Fenster gezerrt worden und wurden nach und nach hinausgesaugt. Hin und wieder verkeilten sich mehrere davor, so daß der Wind im Heuboden kurzfristig abflaute; dann brach die dichte Traube auf und sauste in die heulende Dunkelheit hinaus, und der Wind versuchte wieder mit aller Kraft, Renie und !Xabbu gleichfalls mitzureißen.
    Getreidesäcke und Planen klatschten auf sie ein wie wütende Gespenster, während sie sich halb kriechend, halb purzelnd die Treppe hinunterbewegten. Im Erdgeschoß der Scheune war der Sog schwächer, aber von den Traktoren und anderen Geräten sprühten elektrische Funken, und die Flügel des auf die Felder hinausführenden großen Tores stülpten sich ein und aus wie atmende Lungen. Das Gebäude wurde bis in die Grundfesten erschüttert.
    Renie konnte sich hinterher nicht mehr erinnern, wie sie sich zwischen den viele Tonnen schweren landwirtschaftlichen Maschinen, die wie nervöse Kühe ruckelten, und durch den rasenden Papier-, Jute- und Staubsturm den Weg gebahnt hatten. Sie entdeckten einen Schacht im Fußboden, eine Grube

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