Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer
Finger darum.
Die Tür ging auf, doch zu sehen war nur Schwärze, die auch das trübe Fahrstuhllicht nicht erhellen konnte. Renie verspürte ein Kribbeln im Nacken. Als sie und die anderen beiden sich nicht rührten, schoben die Tiktaks sie vorwärts. Renie ging langsam und prüfte den Boden erst mit der Fußspitze, weil sie befürchtete, jeden Augenblick am Rand eines schrecklichen Abgrunds zu stehen. Als die drei ein Stück weit gegangen waren, veränderte sich plötzlich der Ton der Tiktaks. Renie fuhr herum. Die mechanischen Männer, runde Schatten mit glühenden Augen, wichen geschlossen zum Aufzug zurück. Als sie ihn betraten und die Tür zuging, war damit auch das letzte bißchen Licht fort.
Emily schluchzte noch lauter, direkt neben Renies linkem Ohr.
»Herrje, sei still!« bellte sie. » !Xabbu , wo bist du?«
Als sie die tröstliche Berührung seiner Hand wieder fühlte, wurde ihr zum erstenmal das Hintergrundgeräusch bewußt, ein rhythmisches feuchtes Gluckern. Kaum hatte sie diese Absonderlichkeit registriert, da ging in der Dunkelheit vor ihnen langsam ein Licht an. Sie setzte an, etwas zu sagen, dann schloß sie erstaunt den Mund.
Die Gestalt vor ihnen hing schlaff in einem großen Sessel, an dem Renie zunächst Zierschnitzereien wie an einem päpstlichen Prunkstuhl zu erblicken meinte; erst als das auf die sitzende Figur fallende grünliche Licht stärker wurde, erkannte sie, daß der Sessel mit allen möglichen Schläuchen, Blasen, Flaschen, pumpenden Blasebälgen und Glasröhren voll blubbernder Flüssigkeiten behängt war.
Die meisten dieser Röhren und Schläuche schienen mit der Figur im Sessel verbunden zu sein, aber falls von ihnen eine kräftigende Wirkung ausgehen sollte, wurden sie ihrer Aufgabe nicht besonders gut gerecht: Das Ding mit dem unförmigen Kopf machte einen nahezu bewegungsunfähigen Eindruck. Es rollte langsam den Kopf auf der Rückenlehne in ihre Richtung. Ein Auge in seinem maskenhaften Gesicht war starr aufgerissen wie vor Überraschung, im anderen funkelte scharfe und zynische Neugier. Ein Wust, der wie Stroh aussah, quoll oben aus seinem Kopf und hing ihm schlaff in das bleiche, teigige Gesicht.
»Ihr seid also die Fremden.« Seine Stimme gluckste wie Gummistiefel im Schlamm. Die Blasebälge flappten und furzten, als es mit einem tiefen Luftzug seine Lungen füllte. »Sehr bedauerlich, daß ihr in diese ganze Sache reingeraten seid.«
»Wer bist du?« wollte Renie wissen. »Warum hast du uns festnehmen lassen? Wir sind nichts weiter …«
»Ihr seid nichts weiter als im Weg, fürchte ich«, sagte das Ding. »Aber ich vermute, daß ich es an der gebotenen Höflichkeit fehlen lasse. Willkommen in Smaragd, vormals Neue Smaragdstadt genannt. Ich bin die Vogelscheuche – der König, meiner Sünden wegen.« Es machte ein wäßriges Geräusch des Abscheus. Etwas tauchte zu seinen Füßen aus dem Schatten auf und huschte hin und her, um die Schläuche zu wechseln. Einen Moment lang meinte Renie in ihrer Verblüffung, es wäre !Xabbu , da bemerkte sie, daß dieser Affe winzige Flügel hatte. »Und jetzt muß ich mich mit diesem verworfenen jungen Ding befassen«, fuhr die Gestalt auf dem Sessel fort und richtete einen zitternden Handschuhfinger auf Emily, »das das schlimmste von allen Tatdelikten verübt hat, und zudem noch zu einem sehr ungünstigen Zeitpunkt. Ich bin sehr enttäuscht von dir, mein Kind.«
Emily brach erneut in Schluchzen aus.
»Dann war es doch sie, hinter der du her warst?« Renie hatte Mühe, aus alledem schlau zu werden. Die Smaragdstadt, die Vogelscheuche -Oz! Der alte Film! »Was wirst du dann mit uns machen?«
»Oh, ich werde euch leider hinrichten lassen müssen.« Das hängende Gesicht verzog sich zu einer Miene gespielter Trauer. »Schrecklich, nehme ich an, aber ich kann nicht zulassen, daß ihr hier rumlauft und Verwirrung stiftet. Ihr seid mitten im Krieg aufgekreuzt, müßt ihr wissen.« Die Vogelscheuche blickte nach unten und schnippte den geflügelten Affen mit einem Finger an. »Schleimi, sei ein braver Affe und tausch bitte schön auch meine Filter aus.«
Kapitel
Kleine Gespenster
NETFEED/SPORT:
Tiger an der Leine
(Bild: Castro beim Training mit anderen Tiger-Spielern)
Off-Stimme: Elbatross Castro ist nur der bislang letzte Spieler mit einer nicht ganz vorstrafenfreien Vergangenheit, der sich im Rahmen seines äußerst lukrativen Vertrages mit einem Kontrollimplantat einverstanden erklärt hat — wodurch sein Team
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