Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer
jederzeit feststellen kann, wo Castro sich gerade aufhält und sogar was er gerade ißt, trinkt, raucht oder inhaliert. Aber er dürfte der erste sein, der das Implantat mit einem Störgerät beeinträchtigt und damit ein kompliziertes rechtliches Problem für die IBA und sein Team aufgeworfen hat, die Baton Rouge GenFoods Bayou Tigers, Vorjahresmeister in der nordamerikanischen Basketballkonferenz …
> Während ihre Mutter mit irgendeiner falschen Frau beschäftigt war, wandte Christabel sich von ihr ab und drückte sich an den Spiegel. Mit ihrer dunklen Brille hier im Laden sah sie ihrer Meinung nach ein bißchen wie Hannah Mankiller aus der Sendung Inner Spies aus. »Rumpelstilzchen«, sagte sie so laut, wie sie sich traute. »Rumpelstilzchen!«
»Christabel, was murmelst du da in den Spiegel? Ich verstehe kein Wort, was du sagst.« Ihre Mutter blickte sie an, während die falsche Frau weiterredete. Jemand anders, der es eilig hatte, ging mitten durch die falsche Frau hindurch, die einen Moment lang verzitterte wie eine Pfütze, wenn man hineintrat, aber trotzdem nicht aufhörte zu reden.
»Nichts.« Christabel schob ihre Unterlippe vor. Ihre Mutter schnitt eine Grimasse zurück und wandte sich ab, um dem Hallogrammdings weiter zuzuhören.
»Ich finde es nicht gut, wenn du die im Laden aufhast«, sagte ihre Mutter über die Schulter. »Diese dunkle Brille. Du läufst noch wo gegen.«
»Gar nicht.«
»Schon gut, schon gut.« Ihre Mutter nahm sie bei der Hand und führte sie weiter in den Laden hinein. »Du wirst wohl gerade eines von diesen schwierigen Stadien durchlaufen.«
Christabel vermutete, daß die Bemerkung mißbilligend gemeint war und sich darauf bezog, was sie sich gerade in ihrer MärchenBrille anschaute. Herr Sellars hatte gesagt, daß ihre Eltern das mit der besonderen Brille nicht entdecken durften. »Ich hör mir bloß den Froschkönig an«, sagte sie begütigend. »Der läuft gar nicht durch ein schwieriges Stadion.«
Mami lachte. »Na schön, du hast gewonnen.«
Normalerweise ging Christabel sehr gern ins Seawall Center. Es machte immer Spaß, ins Auto zu steigen und den Stützpunkt zu verlassen, aber das Seawall Center war beinahe ihr liebstes Ziel auf der ganzen Welt. Nur das erste Mal, als sie noch richtig klein gewesen war, hatte ihr es nicht so gut gefallen. Damals hatte sie gedacht, sie würden ins »See Wol Center« fahren. »Wol« war der Name, den Owl in Christabels Lieblingsgeschichten, denen von Winnie-the-Pooh, für sich selbst gebrauchte, und sie hatte den ganzen Tag darauf gewartet, Wol zu sehen. Erst als sie auf dem Rückweg zu weinen anfing, weil sie die Eule nicht gesehen hatte, erklärte ihr Mami, wie der Name richtig hieß.
Beim nächsten Mal war es viel besser, und die ganzen anderen Male auch. Papi fand immer, es sei dumm, den ganzen Weg mit dem Auto zu fahren, hin und zurück je eine Dreiviertelstunde – er sagte das auch immer: »Es ist hin und zurück je eine Dreiviertelstunde!« –, wo man doch alles, was man haben wolle, entweder beim PX bekommen oder einfach bestellen könne, aber Mami meinte, das sei nicht so. »Nur ein Mann bringt es fertig, durchs Leben zu gehen, ohne je ein Stück Stoff zu fühlen oder sich die Nähte anzuschauen, bevor man etwas kauft«, erklärte sie ihm. Und jedesmal, wenn sie das sagte, zog Papi ein Gesicht, als müßte er durch ein schwieriges Stadion laufen.
Christabel liebte ihren Papi, aber sie wußte, daß ihre Mutter recht hatte. Das Seawall Center war besser als der PX oder selbst das Netz. Es war fast wie ein Freizeitpark – ja, es gab darin sogar einen Freizeitpark. Und ein rundes Theater, wo man Netzsendungen in größer sehen konnte, als ihr ganzes Haus war. Und Comicfiguren, die neben einem hergingen oder -flogen, Witze erzählten und Lieder sangen, und falsche Leute, die auftauchten und verschwanden, und aufregende Shows, die in den Ladenfenstern spielten, und alle möglichen anderen Sachen. Und es gab mehr Läden im Seawall Center, als Christabel je geglaubt hätte, daß es auf der ganzen Welt gab. Es gab Läden, die nur Lippenstifte verkauften, und Läden, die nur Nanoo-Kleider verkauften, wie Ophelia Weiner eins hatte, und sogar einen Laden, der nichts als altmodische Puppen verkaufte. Die Puppen bewegten sich nicht, redeten nicht und machten auch sonst nichts, aber sie waren auf eine ganz besondere Art schön. Den Laden mit den Puppen hatte Christabel überhaupt am liebsten, obwohl er irgendwie auch ein
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