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Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Titel: Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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damit das Gesicht ab. Es war unmöglich zu sagen, welche Farbe der Stoff einmal gehabt hatte. »Meine Schwester. Meine arme Schwester ist gestürzt, und sie kommt nicht mehr hoch. Bitte!«
    Paul musterte ihn scharf. Wenn er ein Räuber war, hatte er seinen Beruf schlecht gewählt. Wenn er der Lockvogel einer Räuber- und Mörderbande war, mußten sie viel Geduld haben, um den äußerst spärlichen Flußreisenden aufzulauern. Dennoch war übereiltes Handeln derzeit nicht angebracht. »Was ist ihr passiert?«
    »Sie ist gestürzt und hat sich verletzt. Ach, bitte, Sir, tun Sie ein christliches gutes Werk und helfen Sie mir. Ich würde es Ihnen bezahlen, wenn ich könnte.« Sein Lächeln war kläglich. »Wenn Geld noch etwas zu bedeuten hätte. Aber was wir haben, werden wir mit Ihnen teilen.«
    An der Aufrichtigkeit des Mannes ließ sich kaum zweifeln, und um den Größenunterschied zwischen ihnen wettzumachen, hätte er eine Pistole gebraucht. Er hatte noch keine gezogen, und Paul war schon eine ganze Weile in Schußweite. »Na schön. Laß mich bloß noch mein Boot festmachen.«
    »Gott segne Sie, guter Herr.«
    Während Paul an Land watete und sein Ruderboot festband, sprang der kleine Mann von einem Fuß auf den anderen wie ein Kind, das darauf wartete, aufs Klo zu dürfen. Der Mann winkte ihm zu folgen und lief in einem merkwürdigen, linkischen Trott die Uferböschung hinan auf die Bäume zu. Paul bezweifelte, daß der Mann vor der Invasion je schneller als im Spazierschritt gegangen war, jedenfalls seit seiner Schulzeit.
    Als ob ihm im Beisein eines Fremden plötzlich die Erinnerung an seine einstige Würde zurückkehrte, verlangsamte der Mann im schwarzen Anzug abrupt den Schritt und drehte sich um. »Das ist wirklich sehr freundlich von Ihnen. Mein Name ist übrigens Sefton Pankie.« Rückwärts gehend und in großer Gefahr, jeden Moment über eine Wurzel zu stolpern, streckte er eine Hand aus.
    Paul, der schon vor einiger Zeit beschlossen hatte, daß er nicht einmal seinem eigenen Verstand trauen konnte und somit ganz sicher auch sonst niemandem, dem er begegnete, gab dem Mann die Hand und nannte ihm einen falschen Namen. »Ich heiße … Peter Johnson.«
    »Sehr erfreut, Herr Johnson. Gut, wo wir uns jetzt ordentlich bekannt gemacht haben, sollten wir uns beeilen.«
    Pankie führte ihn den Hügel hinauf, über ein Feld mit dem allgegenwärtigen roten Marsgras, das den Hügel beherrschte wie die Flagge eines Eroberers, und zur anderen Seite wieder hinunter in ein Buchengehölz. Als Paul sich gerade wieder zu fragen begann, ob der Fremde ihn vielleicht doch in einen Hinterhalt lockte, blieb der kleine Mann am Rand eines tiefen Grabens stehen und beugte sich vor.
    »Ich bin wieder da, meine Liebe. Hast du dir auch nichts getan? Um Gottes willen nicht, hoffe ich doch.«
    »Sefton?« Die Stimme war ein kräftiger Alt und eher durchdringend als wohlklingend. »Ich dachte, du wärst weggelaufen und hättest mich verlassen.«
    »Niemals, meine Liebe.« Pankie machte sich an den Abstieg in den Graben und hielt sich dazu an Wurzeln fest, wobei seine mangelhafte Koordination wieder deutlich wurde. Paul erblickte auf dem Grund eine zusammengekrümmte Gestalt und schwang sich hinter ihm her.
    Die unten im Graben in einer Spalte festgeklemmte Frau befand sich in einer schwierigen und peinlichen Lage: Die Beine ragten in die Luft, und die dunkel getönten Haare hatten sich samt Strohhut in einem Gewirr loser Zweige verfangen. Sie war außerdem extrem füllig. Als Paul nahe genug war, um ihr gerötetes, schweißglänzendes Gesicht zu sehen, schätzte er sie mindestens auf Pankies Alter, wenn nicht älter.
    »Oh, liebe Güte, wer ist das?« rief sie mit ungespieltem Entsetzen aus, als Paul unten ankam. »Was müssen Sie von mir denken, Sir? Das ist so fürchterlich, so beschämend!«
    »Das ist Herr Johnson, meine Liebe, und er ist gekommen, um dir zu helfen.« Pankie kauerte sich neben sie und strich über die Ausbuchtung ihres voluminösen grauen Kleides wie über das Fell einer preisgekrönten Kuh.
    »Kein Grund zur Verlegenheit, gnädige Frau.« Paul erfaßte das Problem sofort – Pankies Schwester wog etwa dreimal soviel wie dieser. Allein sie loszubekommen, würde schon eine Quälerei werden, ganz zu schweigen davon, sie den steilen Hang hinaufzubugsieren. Aber er fühlte Mitleid mit der Frau und ihrer peinlichen Lage, die wegen ihrer Unschicklichkeit noch einmal so schlimm war – genau wie die alte

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