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Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Titel: Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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riesigen Maschinen ganze Straßenzüge zertrümmert und verbrannt, ganze Stadtteile dem Erdboden gleichgemacht. Und er wußte, daß er das Schlimmste noch gar nicht zu Gesicht bekommen hatte. An den Flußufern sah er hier und da an freien Stellen Leichen herumliegen, und noch mehr trieben in den folgenden Tagen mit der Strömung an ihm vorbei, doch wenn der Wind sich plötzlich in seine Richtung drehte, wurde der Geruch des Todes wahrhaft grauenerregend, und er begriff, daß es Tausende und Abertausende Leichen mehr geben mußte, als er sehen konnte, eingesperrt in U-Bahnhöfen, die zu riesigen Gräbern geworden waren, oder zermalmt unter dem Schutt eingestürzter Häuser.
    Andere Invasionen waren subtiler gewesen. Was er in der ersten Stunde für rote Blumen auf dem Victoria Embankment gehalten hatte, stellte sich in Wirklichkeit als fremdartiger Pflanzenbewuchs heraus. Die schwankenden scharlachroten Stengel waren überall, sie okkupierten die Grasstreifen und die Verkehrsinseln, überwucherten verlassene Gärten, rankten sich um die noch stehenden Brücken und Laternenpfähle; auf viele Meilen hin waren die einzigen Dinge, die sich außer Paul und dem Fluß bewegten, die sich in dem fauligen Wind wiegenden Thalien der roten Pflanzen.
    Doch so erschütternd der Anblick von London im Todeskampf auch war, erwarteten ihn doch noch andere und absonderlichere Überraschungen.
    Wenige Stunden nach seiner Begegnung mit dem ersten Metallriesen ging Paul allmählich auf, daß dies nicht sein London war, sondern die Stadt, wie sie vielleicht Generationen vor seiner Geburt gewesen war. Die Ladenschilder, die er von seinem Boot aus sah, waren mit komischen, schnörkeligen Lettern beschriftet und hielten die wunderlichsten Dinge feil: »Putzwaren«, »Kurzwaren«, »Kolonialwaren«. Die wenigen noch als solche erkennbaren Autos waren skurril und altmodisch, und selbst die auf der Straße verwesenden menschlichen Leichen wirkten seltsam antik – am auffälligsten die der Frauen, die Schultertücher und knöchellange Kleider anhatten. Einige dieser namenlosen Toten trugen sogar Hüte und Handschuhe, als ob der Tod ein feierlicher Anlaß wäre, zu dem man förmlich gekleidet erscheinen mußte.
     
    Nach dem Schock beim Anblick des ersten Aggressors vergingen Stunden, bis Paul begriff, an welchem Ort er tatsächlich gelandet war.
    Er hatte mit dem Boot an einem verlassenen Pier gegenüber von Battersea angelegt, um seinen schmerzenden Armen eine Erholungspause zu gönnen. In einem anderen London – in seinem London – war das berühmte Elektrizitätswerk, das diesen Teil des Flußufers beherrscht hatte, längst verschwunden und baute die Stadt an seiner Stelle himmelhohe Bürotürme aus Fibramic, aber in diesem London würde der Bau des E-Werks offenbar noch Jahrzehnte auf sich warten lassen. Doch da anscheinend fast alle Bewohner in irgendeinem gräßlichen Kampf abgeschlachtet worden waren, würde es das E-Werk wahrscheinlich niemals geben. Alles war so verwirrend!
    Im Westen sank die Sonne dem Untergang entgegen, und das weiche Licht ließ die Stadtsilhouette nicht ganz so zerbombt und die Zerstörung ein klein wenig erträglicher erscheinen. Eine ganze Weile saß Paul einfach so ruhig da, wie es ihm möglich war, und versuchte nicht darüber nachzudenken, was ihn umgab. Er schloß die Augen, um noch ruhiger zu werden, aber das Gefühl drohenden Unheils war so stark, daß er sie nicht geschlossen halten konnte. Jeden Moment konnte eine dieser grotesken haushohen Maschinen am Horizont erscheinen, ein Dreifuß, der gnadenlos wie eine räuberische Bestie so lange seine Haube rotieren ließ, bis er ihn erspäht hatte …
    Dreifüße. Paul starrte auf das um den Pier strudelnde braune Wasser der Themse, doch er sah es nicht mehr. Dreifüße, riesige Kriegsmaschinen, rote Pflanzen, die überall wuchsen. Gab es nicht eine Geschichte, in der sowas vorkam …?
    Die Klarheit kam wie ein kalter Windstoß, doch nicht als befriedigende Antwort auf eine Frage, sondern als unerfreuliche Eröffnung eines noch erschreckenderen Problems.
    O Gott. H.G. Wells, nicht wahr? Krieg der Welten oder so ähnlich hieß es …
    Es war eines der Werke, das er ziemlich gut zu kennen meinte, obwohl er in Wirklichkeit weder das Buch gelesen noch eine der zahlreichen Filmbearbeitungen gesehen hatte (mehrere Versionen, interaktive wie passive, standen im Netz zur Verfügung). Aber eine Version wie dies hier gab es nicht, da war er sich ganz sicher. Weil dies

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