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Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Titel: Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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wurde ihm in den Bauch gedrückt. Paul glitt mit der Hand dorthin und fühlte die kalte, steinerne Speerspitze tief in seinem Fellumhang stecken, dessen Haare bereits von warmen Blutstropfen verklebt waren. Noch ein kleines Stück weiter, und sie würde seine Gedärme durchbohren.
    Vogelfänger beugte sich vor, sauren Fleischgeruch im Atem. Die Speerspitze stach noch eine Idee tiefer.
    »Du bist mein Blutsfeind, Flußgeist. Ich werde dich ins Land der Toten zurückschicken.«

Eins
Der geheime Fluß
    … denn Millionen vermischter Schemen und Schatten, versunkener Träume, nächtlicher Irrungen und Wirrungen, alles was uns Leben und Seele heißt: hier liegen sie träumend und aberträumend, wälzen sich hin und her wie Schläfer in ihren Betten, und das ewige Rollen der Wellen ist nur die Folge ihrer Ruhelosigkeit.
     
    Herman Melville, Moby Dick

 
Kapitel
     
Tiefe Wasser
     
    NETFEED/NACHRICHTEN:
    Kein Helm? Schulkinder brauchen eine Verzichterklärung
    (Bild: Kinder beim Anprobieren der Helme)
    Off-Stimme: Kinder in Pine Station, einer Trabantenstadt in Arkansas, müssen entweder den ganzen Schultag über einen Sicherheitshelm aufhaben, oder ihre Eltern müssen eine Verzichterklärung unterschreiben, in der sie zusichern, daß sie keine Ersatzansprüche anmelden werden, falls ihrem Kind etwas zustoßen sollte.
    (Bild: Edlington Gwa Choi, Schulrat von Pine Station)
    Gwa Choi: »Es ist ganz einfach. Wir können uns den Versicherungsschutz nicht mehr leisten. Es werden mittlerweile schöne, bequeme Helme hergestellt — die Kinder merken kaum, daß sie einen aufhaben. Wir haben Tests durchgeführt. Und wenn sie keinen tragen wollen, ist uns das auch recht, solange ihre Erziehungsberechtigten die Verantwortung übernehmen …«
     
     
    > Ein Käfer von der Größe eines Lieferwagens rumpelte gemächlich am Ufer entlang, der Pavian neben ihr sang ein Lied, und Renie lechzte nach einer Zigarette.
     
»Wir gehen hinab«,
     
    sang !Xabbu mit beinahe tonloser Stimme,
     
»Hinab zum Wasser,
    Ah!
    Wo die Fische lachen
    Und sich verstecken…«
     
    »Was ist das?« Renie sah zu, wie der Käfer mit dem sturen Vorwärtsdrang eines der Arbeitsroboter, die mit ihrem Wühlen die Oberflächen von Mars und Mond wirtlich machen sollten, über den steinigen Strand buckelte. »Das Lied, das du da singst.«
    »Mein Onkel sang es immer. Es half ihm, geduldig darauf zu warten, daß die Fische über den Steindamm kamen und wir sie fangen konnten.« !Xabbu kratzte sich mit einer Gründlichkeit, die viel eher menschlich als äffisch wirkte, in seinem Pavianpelz.
    »Aha.« Renie runzelte die Stirn. Sie konnte sich nicht recht konzentrieren, und im Augenblick interessierten sie nicht einmal !Xabbus Geschichten über seine Kindheit im Okawangodelta.
    Wenn irgend jemand ihr vorher erzählt hätte, sie würde einmal in ein quasi magisches Reich versetzt werden, wo einzelne den Lauf der Geschichte nach ihrem Gutdünken umschreiben oder wo Menschen plötzlich auf die Größe von Mohnsamen schrumpfen konnten, aber ihr dringendstes Problem wäre, wenigstens in Zeiten wie dieser, daß sie keine Zigaretten hatte, dann hätte sie die Person für verrückt erklärt. Doch seitdem sie die letzte geraucht hatte, waren zwei qualvolle Tage vergangen, und die gegenwärtige beschauliche Flußpartie an Bord eines riesigen Blattes, das einst ein Schiff gewesen war, gab ihr endlich die Muße zu erkennen, was ihr fehlte.
    Sie stieß sich vom hochgebogenen Rand des Blattes weg. Besser was tun, irgendwas, als giepernd wie ein Chargehead mit einer durchgeschmorten Can herumzustehen. Zumal es durchaus nicht so war, daß alles nach Wunsch lief, sinnierte sie. Im Grunde war von dem Moment an, in dem sie Atascos virtuelle goldene Stadt erreicht hatten, so ziemlich alles schiefgelaufen.
    Drüben am Rand der weiten Wasserfläche hatte sich der Käfer die Uferböschung hochgearbeitet und verschwand jetzt in einem Meer von Grashalmen, die jeder so hoch waren wie die Palmen zuhause. Sie begab sich vorsichtig in die Mitte des Blattes und ließ !Xabbu allein sein leises Fischfanglied singen und den nunmehr leeren Strand betrachten.
    Sweet William, dessen Silhouette an einen Theatervampir erinnerte, stand am äußersten Blattrand und beobachtete das andere, fernere Ufer, während die übrigen weiter innen an die mächtige Mittelrippe gelehnt saßen und sich ein notdürftiges Dach aus Blatthaut, die sie vom Außenrand abgerissen hatten, zum Schutz gegen die starke Sonne

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