Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer
hast du recht.« William ging neben ihr in die Hocke, so daß sein spitzes Knie sich in ihr Bein bohrte. Renie fand, daß er sich ein wenig verändert hatte, seit sie aus Atascos Palast geflohen waren, daß seine Arroganz sich gemildert hatte. Selbst sein starker nordenglischer Akzent klang etwas gemäßigter, als ob er bloß eine effekthascherische Masche wäre, genau wie sein Todesclownsim. »Was machen wir also?« fragte er. »Wir können nicht paddeln. Ich nehme an, wir könnten ans Ufer schwimmen – da hättet ihr alle was zu lachen, wenn ihr mich schwimmen sehen würdet –, aber was dann? Ich bin nicht scharf drauf, diesen überdimensionierten Kribbelkrabblern da drüben aus dem Weg hechten zu müssen.«
»Sind die groß, oder sind wir klein?« fragte Fredericks. »Vielleicht sind sie ja bloß Monsterkäfer, nicht, wie in dieser Lernwelt ›Verstrahlte Natur‹.«
Renie kniff die Augen zusammen und spähte zum Ufer. Ein paar fliegende Gestalten, kleiner als die Libellen, schwirrten hektisch am Rand des Wassers hin und her. »Na ja, die Bäume sind kilometerhoch, die Sandkörner am Strand sind so groß wie dein Kopf, und wir schwimmen auf einem Blatt, das mal ein Schiff war. Was meinst du? Mein Tip wäre: Wir sind klein.«
Fredericks warf ihr einen verletzten Blick zu und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf seinen schlafenden Freund. Auch Sweet William sah Renie mit leicht überraschter Miene an. »Du kannst ziemlich bissig sein, was, Verehrteste?« bemerkte er beeindruckt.
Renie schämte sich, aber nur ein wenig. Diese Leute benahmen sich, als wäre das alles eine Art Abenteuerspiel, in dem am Schluß alles gut ausgehen mußte und sie im allerschlimmsten Fall eine niedrige Punktzahl erhielten. »Dies hier wird nicht einfach mit einer höflichen Mitteilung ›Game over‹ enden, begreift das mal«, spann sie ihren Gedanken laut weiter. »Ich habe gefühlt und gesehen, wie ein Mann bei dem Versuch starb, in dieses Netzwerk einzubrechen. Und ob die Atascos nun on- oder offline angegriffen wurden, sie sind auf jeden Fall tot.« Sie hörte ihre Stimme anschwellen und rang um Beherrschung. »Dies hier ist kein Spiel. Mein Bruder liegt im Sterben – vielleicht ist er schon tot. Ich bin sicher, daß jeder von euch seinen eigenen Kummer mit sich rumträgt, also laßt uns endlich in die Gänge kommen.«
Eine Weile herrschte Schweigen. T4b, der stachelige Roboterkrieger, beendete es. »Alles hört, Frau. Red.«
Renie zögerte, schier erdrückt vom Gewicht der vielen Probleme. Sie kannte diese Leute nicht, hatte keine Antworten für sie parat – wußte nicht einmal wirklich, welche Fragen zu stellen waren. Und sie war es überdies leid, diese Fremden ständig antreiben zu müssen. Sie waren ein komischer Haufen, zeigten wenig von der Initiative, die Sellars ihnen zugedacht hatte, und von den wenigen Menschen auf der Welt, denen sie vertraute, war nur !Xabbu voll anwesend, da Martine merkwürdig verändert war, nicht mehr die ruhige, ultrakompetente Drahtzieherin von vorher.
»Also gut«, sagte Renie. »Ich stimme zu, daß wir nicht an Land gehen sollten, wenn es sich vermeiden läßt. Selbst die Insekten sind so groß wie Dinosaurier, und möglicherweise sind Insekten nicht die einzigen Tiere hier. Wir haben bis jetzt keine Vögel gesehen, aber das heißt nicht, daß es keine gibt, und für eine Möwe wären wir alle nicht mehr als ein Happs.«
»Was können wir denn tun außer uns treiben lassen?« fragte Quan Li.
»Na ja, ich will nicht behaupten, daß wir einen Außenbordmotor basteln könnten, aber ich sehe eigentlich nicht, was dagegen spricht, daß wir paddeln oder uns vielleicht sogar eine Art Segel machen. Wie wär’s, wenn wir noch ein Stück Blatthaut abziehen«, sie deutete auf den zerfledderten Sonnenschutz über ihren Köpfen, »und das als Segel nehmen?«
»Ein Segel ohne Mast geht nicht«, sagte Florimel kategorisch. »Das weiß jeder.«
Renie zog eine Augenbraue hoch: die schweigsame Frau konnte anscheinend doch reden. »Tatsächlich? Könnten wir nicht etwas basteln, womit sich wenigstens ein bißchen Wind fangen ließe? Wie heißen diese Dinger, die sie bei Shuttleraketen verwenden – Bremsfallschirme? Könnten wir uns nicht einen umgekehrten Bremsfallschirm machen und ein paar dünnere Blattrippen zum Festbinden nehmen?«
»Ich finde Renies Idee sehr gut«, sagte Quan Li.
»Oh, sie ist der reinste Bobby Wells, kein Zweifel«, sagte Sweet William. »Aber wie lange werden wir dafür
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