Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer
war.
Schlagartig und ohne jede Vorankündigung wechselten der Raum, der kämpfende Tiktak, die Affen und die in ihrem Wust von Versorgungsschläuchen thronende Vogelscheuche die Farbe.
Es kam Renie so vor, als leuchteten eine Million Blitzlichter gleichzeitig auf. Die kleinen hellen Stellen wurden schwarz, die Schatten flammten grellbunt auf, und alles ruckte und stotterte gleichzeitig, als ob aus dem Räderwerk des Universums ein Zahn herausgebrochen wäre. Renie schrie, weil sie meinte, in tausend Stücke zerrissen zu werden, aber es gab kein Geräusch, nur ein ungeheures grollendes Brummen, das wie ein tief im Herzen der Welt vergrabenes Nebelhorn alles durchtönte.
Sie fühlte ihren Körper nicht mehr. Sie wurde in einem Strudel herumgewirbelt und dann dünn über ein tausend Meilen weites Nichts ausgespannt, und alles, was ihr blieb, war das winzige Pünktchen des Bewußtseins, das nichts anderes tun konnte, als sich an die nackte Vorstellung seiner Existenz zu klammern.
Dann hörte alles genauso plötzlich wieder auf, wie es angefangen hatte. Die ausgelaufenen Farben des Universums flossen wieder zurück, das Negativ wurde positiv, und der Raum war wieder wie vorher.
Renie lag keuchend auf dem Boden, neben ihr die wimmernde Emily, die sich in dem vergeblichen Bestreben, das Chaos von sich fernzuhalten, die Arme um den Kopf geschlungen hatte.
»Heiliger Bimbam«, nuschelte die Vogelscheuche. »Hab ich das vielleicht dick.«
Renie stemmte sich mühsam auf die Knie. Der verbliebene Tiktak lag mitten im Raum, und seine langsam hin und her zuckenden Arme deuteten darauf hin, daß seine Uhrwerkinnereien irreparabel beschädigt worden waren. Die beiden überlebenden Affen schwebten mit kolibriartig schwirrenden Flügeln darüber und schauten sich ängstlich im Raum um, als ob der Wahnsinn jede Sekunde wieder losgehen könnte.
Der Bildschirm, auf dem das augenlose Gesicht des Blechmanns sie beobachtet hatte, zeigte nur noch einen flimmernden Konfettiregen.
»Das passiert mir in letzter Zeit etwas zu häufig.« Die Vogelscheuche stützte den Kopf auf beide Hände und legte ihre sackleinerne Stirn in Furchen. »Ich dachte eigentlich, es wäre das Werk des Blechmanns, wie die Tornados auch – für den Löwen ist es ein bißchen zu anspruchsvoll –, aber der hätte sich nicht gerade diesen Zeitpunkt ausgesucht, was?«
»Was geht hier vor?« Renie kroch zu den beiden Affenleichen hin, um sich zu vergewissern, daß keine von beiden !Xabbu war. »Seid ihr hier alle verrückt? Und was hast du mit meinem Freund gemacht?«
Die Vogelscheuche hatte gerade den Mund geöffnet, um eine verärgerte Antwort zu geben, als eine kleine Gestalt an ihrer Schulter erschien.
»Halt!« Der Pavian griff sich mit seinen langen Fingern einen der größeren Schläuche der Vogelscheuche und verfolgte ihn, bis er ihn genau dort zu fassen hatte, wo er am Hals in den Körper des Strohmannes eintrat. »Wenn du meine Freundin nicht frei gehen läßt«, sagte !Xabbu , »und das Mädchen Emily auch, werde ich diesen Schlauch herausziehen!«
Die Vogelscheuche verdrehte den Kopf. »Ihr seid wirklich nicht von hier«, bemerkte sie mitleidig. »Schleimi! Hänger! Packt ihn.«
Beim Anblick der auf den Thron zuschießenden fliegenden Affen riß !Xabbu den Schlauch heraus. Ein Wattefetzen entstieg dem Ende, und als die Affen !Xabbu ergriffen und ihn in die Höhe rissen, trudelte er gemächlich in ihrem Sog durch die Luft.
Sie ließen !Xabbu aus geringer Höhe fallen. Verdutzt und besiegt landete er zu Renies Füßen in der Hocke. Die Vogelscheuche nahm den Schlauch in ihre weichen Finger und schlenkerte ihn. »Nachfüllmaterial«, erklärte sie. »Ich war nicht ganz so prall gefüllt, wie es mir lieb ist. In letzter Zeit war soviel los, da kommt die Schönheitspflege leider etwas zu kurz – ihr wißt ja, wie das geht.« Sie blickte auf Schleimi und Hänger nieder, die zu ihren gestiefelten Füßen gelandet waren und sich jetzt gegenseitig Flöhe aus dem Pelz zupften. »Ruft die andern Flugaffen, zack zack.«
Schleimi legte den Kopf zurück und stieß einen schrillen Schrei aus. Dutzende von geflügelten Gestalten kamen plötzlich aus der dunklen Höhe herabgeschossen wie Fledermäuse, die in ihrer Nisthöhle aufgestört worden waren. In Sekundenschnelle wurden Renie und !Xabbu von vielen krallenden Affenhänden an Kopf und Füßen gepackt.
»So, die Emily könnt ihr liegenlassen, ich will mit ihr reden. Die andern beiden bringt ihr in
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