Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer
eine dunkle, zylindrische Gestalt.
»Hallo, Schmierlapp«, sagte sie zu der Vogelscheuche.
Emily kreischte.
Der Kopf auf dem Bildschirm bestand ganz aus grauem, stumpf glänzendem Metall, ein scheußliches, kolbenartiges Ding mit einem kleinen Schlitz als Mund und überhaupt keinen Augen. Renie merkte, wie sie vor instinktivem Abscheu zurückwich.
»Was willst du, Blechmann?« Die betonte Langeweile im Ton der Vogelscheuche konnte die Nervosität darunter nicht ganz verbergen. »Ist dir die Lust an deinen Wirbelstürmchen vergangen? Hau ruhig weiter damit rum, wenn’s dir Spaß macht. Die lutsch ich weg wie Bonbons.«
»Auf diese Tornados bin ich echt stolz, wo du sie grade erwähnst.« Das Metallding hatte eine Stimme wie das Brummen eines Elektrorasierers. »Und du mußt zugeben, daß sie deine humanoiden Untertanen ganz schön demoralisieren. Aber eigentlich melde ich mich wegen was anderem bei dir. Warte, ich will’s dir zeigen – es ist putzig.« Die foppende, unmenschliche Stimme nahm einen Befehlston an. »Tiktaks, führt einen kleinen Tanz auf!«
Zur allgemeinen Bestürzung tapsten alle sechs Aufziehmänner los und machten eine Reihe scheppernder, elefantenähnlicher Schritte, wobei sie mehr denn je wie kaputte Spielsachen aussahen.
»Ich habe deine Frequenz entdeckt und mit Beschlag belegt, mein lieber alter Freund.« Bei dem knirschenden Lachen des Blechmanns glitt die Klappe in seinem Mund mehrmals auf und zu. »Du mußt doch gewußt haben, daß es nur eine Frage der Zeit war – die Tiktaks waren eigentlich sowieso mir zugedacht. So, Onkel Wabbelsack, ich fürchte, wir haben jetzt eine dieser Gameover-Situationen, die ihr Spielertypen so gut kennt.« Er leistete sich ein weiteres kratzendes Kichern. »Ich bin sicher, du wirst mit Erleichterung hören, daß ich keine Zeit auf stereotype Drohreden verschwenden werde – ›Ha, jetzt habe ich dich in meiner Gewalt‹ und so. Tiktaks, tötet sie auf der Stelle. Alle.« Die Tiktaks brachen abrupt ihren Tanz ab und machten mit erhobenen Preßlufthammerarmen einen ruckartigen Schritt in die Mitte des Raumes. Emily wartete mit der benommenen Schicksalsergebenheit der geborenen Sklavin; Renie packte sie und zerrte sie nach hinten an die Wand. Der Blechmann verfolgte die Bewegung mit einer Drehung seines blanken Kolbenkopfes. »Tiktaks, wartet«, befahl er. »Wer sind die denn, Vogelscheuche? Deine reizenden Gäste, meine ich.«
»Geht dich nichts an, du Schrottvisage«, keuchte die Vogelscheuche. »Mach zu und spiel weiter.«
Renie starrte die glotzenden, idiotischen Gesichter der mechanischen Männer an und fragte sich, ob sie an ihnen vorbeihuschen konnte, aber die Erfolgsaussichten eines Fluchtversuchs waren schlecht einzuschätzen, wenn die Wände des Raumes im Dunkeln lagen. War der Weg, auf dem sie gekommen waren, noch offen? Und was war mit Emily? Würde sie das Mädchen mit sich zerren müssen, oder konnte sie sie im Vertrauen darauf zurücklassen, daß sie vermutlich bloß ein Sim war? Konnte sie das überhaupt machen, auch wenn sie sicher wußte, daß es so war? Leid und Schmerz in diesen Simulationswelten kamen ihr sehr real vor – konnte sie jemanden zu Folter und Tod verurteilen, selbst wenn es nur ein Replikant war?
Renie faßte nach unten, suchte !Xabbus Hand, aber griff ins Leere. Der Pavian war im Schatten untergetaucht.
»Tiktak, untersuch diese Frau«, befahl der Blechmann.
Renie straffte sich und hob die Hände, um sich zu verteidigen, aber der mechanische Mann rumpelte an ihr vorbei und streckte seine klauenartigen Hände nach Emily aus, die jammernd zurückschrak. Langsam fuhr er mit seinen Scheren von Kopf bis Fuß dicht über ihren Körper wie ein Flughafenwachmann, der mit einer Densitätssonde über die Taschen eines verdächtigen Fluggastes streicht. Emily weinte abermals und wandte ihr Gesicht ab. Kurz darauf trat der Tiktak zurück und ließ die Arme an seine runden Seiten sinken.
»Wahnsinn«, sagte der Blechmann, als hätte er die Information direkt aus dem Innenleben des Tiktaks abgelesen. »Wahnsinn. Du faßt es nicht. Kann das sein?« Die summende Stimme hatte auf einmal einen seltsam brüchigen Klang – vielleicht Überraschung. »Mein Feind, du erstaunst mich. Du hast… die Dorothy gefunden?«
Kraftlos vor Angst sank Emily zu Boden. Renie trat an ihre Seite; der Schutzimpuls schien ihr das einzige zu sein, was in diesem ganzen unverständlichen Drama noch einen Sinn hatte.
»Verpiß dich«, japste die
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