Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer
Vogelscheuche in deutlicher Atemnot. »Du kannst niemals…«
»O doch, ich kann. Tiktaks, tötet alle außer der Emily«, schnarrte der andere. »Bringt sie sofort zu mir.«
Die vier Uhrwerkmänner, die dem Thron der Vogelscheuche am nächsten standen, drehten sich um und walzten in einem Halbkreis darauf zu. Die anderen beiden wandten sich Renie und Emily zu, die sich im Dunkeln an die Wand drückten.
»O Schrotti, du bist so doof, daß mir langsam langweilig wird.« Die Vogelscheuche schüttelte ihr plumpes Haupt, räusperte sich dann lautstark und spuckte das eklige Produkt des Vorgangs in die Ecke. Als die mechanischen Männer am Fuße des Throns ankamen, hob sie ihre Handschuhhand und zog an einer herabhängenden Schnur.
Mit einem gewaltigen Knall, der sich anhörte, als ob ein riesiger Hammer auf einen entsprechend dimensionierten Amboß geschlagen hätte, klappte plötzlich rings um den Thron der Fußboden unter den Tiktaks weg. Sie stürzten in den klaffenden Schacht, doch Renie hörte sie noch drei oder vier Sekunden lang krachend gegen die Metallwände prallen.
»Tiktaks, bringt mir die Emily!« wies der Blechmann die übrigen beiden Automaten an. »Kann sein, daß ich dich nicht erwische, Vogelscheuche, aber du kannst auch nichts machen, um sie aufzuhalten!«
Renie wußte nicht, ob das stimmte, aber sie wartete die Entscheidung nicht ab. Sie warf sich mit ausgestreckten Armen nach vorn und stieß dem nächsten Tiktak vor die Brust. Das Monstrum war schwer und wackelte bloß, aber mußte trotzdem mit einem seiner zylindrischen Beine einen leicht gedrehten unsicheren Schritt rückwärts machen, um das Gleichgewicht zu halten.
»Schleimi!« schrie die Vogelscheuche. »Patzo, Hänger, Plop!«
Renie beachtete diesen Unsinn nicht weiter, sondern ging in die Knie, schlang ihre Arme um den faßförmigen Rumpf des Tiktaks – sie konnte das Arbeiten der knirschenden Zahnräder im Innern bis in die Knochen fühlen – und stieß abermals mit aller Kraft, die sie in ihren langen Beinen hatte, zu. Eine schaumgepolsterte Schere fand ihren Arm, doch sie riß ihr Handgelenk gerade noch los, bevor die Klaue zuschnappen konnte, und schob noch einmal mit möglichst tiefliegendem Schwerpunkt und durchgedrückten Beinen. Der Tiktak kippelte und mußte wieder einen Schritt zurück tun, um nicht zu Fall zu kommen. Die Klaue grapschte erneut nach ihr, doch sie versetzte ihm einen letzten Stoß und sprang außer Reichweite. Das Ding machte einen torkelnden Schritt, und seine Räderwerkgeräusche steigerten sich zum Sirren einer wütenden Mücke. Es taumelte am Rand der Grube, die sich um den Thron der Vogelscheuche aufgetan hatte, dann stürzte es kopfüber hinein und war fort.
Renie hatte nur einen Herzschlag lang Zeit, ihren Triumph auszukosten, bevor ein anderes Paar gepolsterter Klauen an ihrer Seite und ihrer Schulter zuschnappte und sie an beiden Stellen so fest zwickte, daß sie vor Schreck und Schmerz aufjaulte. Der zweite Tiktak zögerte nicht, sondern schob sie über den Betonfußboden auf das offene Loch zu, in dem seine Genossen verschwunden waren. Renie konnte nur panische Flüche kreischen und hilflos mit dem Handrücken auf das Ding hinter ihr einschlagen.
» !Xabbu ?« schrie sie. »Emily! Helft mir!« Sie versuchte, sich mit den Fersen aufzustemmen, aber sie hatte zuviel Fahrt. Die Grube klaffte.
Etwas schoß an ihr vorbei, und der Druck an ihrer Schulter ließ plötzlich nach. Sie verdrehte den Hals und sah, daß ein kleines Affenwesen sich vor das Gesicht des Tiktaks gelegt hatte. Der mechanische Mann schlug danach, aber konnte mit seinen kurzen Ärmchen nichts ausrichten.
» !Xabbu …«, begann sie, als auf einmal weitere Affengestalten von oben aus der Dunkelheit herabgesaust kamen. Der Tiktak ließ auch mit dem anderen Arm los, um sich der Angreifer erwehren zu können. Befreit fiel Renie auf die Knie und krabbelte mit feurigen Schmerzen an beiden Seiten von der Grube fort.
Der blinde und bedrängte Tiktak geriet jetzt ins Wanken, aber sein wildes Umsichschlagen forderte seinen Tribut. Einer der Affen wurde aus der Luft gewischt und fiel schlaff zu Boden. Der Tiktak tat ein paar tapsige Schritte und schien sein Gleichgewicht wiederzufinden. Ein weiterer Affe wurde mit einem scheußlichen feuchten Knirschen zerschmettert, während der Tiktak sich wieder langsam auf Renie zubewegte. In der Dunkelheit des Raumes konnte sie nicht erkennen, ob eine der beiden niedergestreckten Gestalten !Xabbu
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