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Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Titel: Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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blickte auf das Tal in seiner ganzen vielgestaltigen Schönheit. »Das kann doch nicht sein! Es ist… es ist wirklich!«
    »Wußtest du das nicht?« fragte Nandi. »Wie wäre das möglich?«
    Hilflos und benommen schüttelte Paul den Kopf. Eine Simulation. Jemand hatte ihn hier eingespeist und die Spuren verwischt. Aber so perfekte Simulationen gab es nicht. Es konnte ganz einfach nicht sein. Er schloß die Augen, halb davon überzeugt, wenn er sie wieder aufschlug, wäre alles weg, und er befände sich wieder im knirschenden Mahlwerk des Riesen oder in Humpty-Dumptys Burg. Selbst diese Absurditäten waren sinnvoller gewesen als das. »Es kann nicht sein.«
    Nandi hockte sich neben ihn, und Sorge und Überraschung standen ihm im Gesicht geschrieben. »Du wußtest nicht, daß du in einer Simulation bist? Du mußt mir erzählen, wie du hierhergekommen bist. Das ist wichtiger, als dir vielleicht klar ist, Paul Brummond.«
    »Ich weiß nicht, wie ich hierhergekommen bin – und außerdem heiße ich nicht Brummond. Ich habe gelogen.« Es lag ihm nichts mehr daran, die Täuschung aufrechtzuerhalten. »Mein Name ist Paul Jonas.«
    Sein Begleiter schüttelte den Kopf. Der Name sagte ihm nichts. »Und du weißt nicht, wie du hierhergekommen bist?«
    Wie betäubt erzählte Paul ihm alles, woran er sich erinnern konnte – die scheinbar endlosen Welten, die unbeantworteten Fragen, die erschreckende Schwärze, die über seiner jüngsten Vergangenheit lag. Es war, als hörte er jemand anders reden. Als er zu Ende war, ließ Nandi das Kinn auf die Brust sinken und schloß die Augen, als hielte er aus irgendeinem wunderlichen Grund ein Nickerchen; als er die Augen wieder öffnete, wirkte er deutlich beunruhigt.
    »Und die ganze Zeit über, Paul Jonas, bist du durch die Schöpfungen meines Feindes gehetzt worden. Das muß etwas zu bedeuten haben, aber ich kann mir nicht vorstellen, was.« Er stand auf. »Komm. Wir müssen schnell zum Fluß. Je länger wir hier verweilen, um so größer ist die Gefahr, vermute ich.«
    »Dein Feind – das hast du vorhin schon einmal gesagt.« Paul folgte dem schlanken Mann weiter den Hügel hinunter. »Wer ist dieser Feind? Meinst du etwa, daß ihm dieser Ort gehört?«
    »Wir wollen lieber nicht von ihm reden. Nicht hier.« Nandi Paradivasch legte einen Finger auf die Lippen. »In alten Sagen heißt es, daß, wer den Namen eines Dämons ausspricht, ihn damit herbeiruft, und das könnte sich auch in unserem Fall bewahrheiten. Wer weiß, auf welche Namen oder Worte hin ein Suchagent anspringt.«
    »Können wir auf dem Fluß sprechen? Ich … ich muß mehr wissen.«
    »Wir werden reden, aber gib acht, was für Worte du wählst.« Er schüttelte voller Verwunderung den Kopf. »Ich hätte wissen sollen, daß der Große Tänzer nicht grundlos seine Hand auf mich legt und mich auf einen Fremden aufmerksam macht. Nur ein kleines Weilchen Maya, Illusion, und schon hätte ich beinahe den Rauch der Verbrennungsstätte vergessen, den ich in der Nase hatte, als ich ihm wahrhaft dienen lernte.«
     
    Auf der letzten Meile zum Flußufer beeindruckte Xanadus Schönheit Paul noch viel mehr als vorher. Mit seinem neuen Wissen konnte er über nichts hinwegsehen: hier diese köstlich duftende Blume, dort der Baum, das sanft unter seinen Füßen raschelnde Gras – alles falsch. Konstrukte. Aber so eine makellose Simulation des Lebens konnte es nicht geben. Er hielt sich beileibe nicht für einen Experten, aber er war auch kein weltabgeschiedener Einsiedler. Er hatte überall im Netz Anzeigen für die vielbeschrienen »fotorealistischen« VR-Environments aus China gesehen, und sein Freund Niles hatte ihn sogar einmal eine der besseren staatlichen Simulationsmaschinen ausprobieren lassen, ein Botschaftsessen, wo man wie im richtigen Leben politisch gewinnen oder verlieren konnte. Die Erfahrung hatte Paul damals sehr beeindruckt – die Replikanten, die tatsächlich ein Gespräch führen konnten, die kleinen Gegenstände wie Messer und Gabeln, die täuschend ähnlich vibrierten, wenn sie an den Rand eines Tellers klirrten –, doch selbst dieser neueste Stand der Technik vom letzten Jahr war Meilen, nein, Lichtjahre von dem hier entfernt gewesen!
    »Die Leute in diesen … Simulationen«, fragte er. »Sind sie ebenfalls nicht wirklich?«
    »Manche doch«, antwortete Nandi. »Dies hier wurde zur Nutzung durch reiche und mächtige Leute gebaut, und sie und ihre Freunde können hier wie Götter erscheinen, die sterbliche

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