Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Titel: Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
Vom Netzwerk:
zu viele Fragen. Aber das überzeugendste Argument kam fast sofort, kaum daß sie Josephs Trampstelle verlassen hatten und um die nächste Kurve herum waren.
    »Willst du was zu trinken haben, Mann?«
    Es war, als wäre ein Vorhang aufgezogen worden und Sonnenschein überflutete ein lange abgedunkeltes Zimmer. »Hast du ’nen Wein?«
    »Anspruchsvoll bist du gar nicht, was? Nein, aber wenn du ganz nett zu mir bist, laß ich dich vielleicht ’nen Elli nuckeln.«
    Mit jäh erwachendem Argwohn runzelte Joseph die Stirn und fragte sich, ob er dem einen Schwulen entkommen war, nur um sofort dem nächsten in die Arme zu laufen. »’n was?«
    Haaksbergen griff in ein Fach hinter dem Sitz und holte eine Dose Bier hervor, Marke Red Elephant. Er reichte sie Joseph und nahm sich selber auch eine, die er aufmachte und in den Halter am Armaturenbrett steckte. »Ich war die ganze Fahrt über trocken, aber jetzt hab ich Gesellschaft, da darf ich doch mal, hä?«
    Joseph nickte, die Dose bereits erhoben, aus der ihm die kühle Flüssigkeit durch die Kehle rann wie Regen auf ausgedörrte Wüstenhügel.
    »Gefällt dir mein Laster?« erkundigte sich Haaksbergen und nahm einen Schluck von seinem Bier. »Ganz nett, was? Der Motor läuft mit Wasserstoff – ziemlich gut und billig im Verbrauch, aber ich vermute, wenn irgendeins von den kleinen Kinkerlitzchen rausfällt oder sowas, fliegt alles in die Luft und wir mit. Na ja, so ist das Leben, hä …? Herrje, Mann, hast du die etwa schon aus?«
     
    Der Rest der Fahrt verfloß in wohlig warmer Wonne. Die Lichter der Ortschaften, die zum Fuß der Berge hin zahlreicher wurden, schwammen an den Fenstern vorbei wie tropische Fische. Als sie schließlich in Howick ankamen, waren Long Joseph und Antonin (»meine Mutter war Italienerin – da kannste nix machen«) dicke Freunde. Selbst Haaksbergens gelegentliche Bemerkungen über »euch Schwarze« und »deine Leute« oder sein leises Mißfallen darüber, daß Joseph ihm das ganze Bier wegtrank, schienen mit zur Offenherzigkeit der frisch geschlossenen Bruderschaft zu gehören. Nachdem er im Gewimmel der Nachtschwärmer vor dem Bahnhof abgesetzt worden war, winkte Long Joseph dem auf der Hauptstraße davonbrummenden Laster fröhlich hinterher.
    Eine leicht benebelte Inventur seiner Barschaft machte deutlich, daß es für die Zugfahrt nach Durban vorn und hinten nicht reichte, aber im Moment verspürte er sowieso keinen Drang, irgendwo hinzufahren. Er fand eine Bank im Bahnhof, rollte sich zusammen und sank in einen Schlaf, in dem selbst die Träume verschwommen waren, wie durch tiefes Wasser gesehen.
    Mit fester Hand, aber ohne besondere Grobheit wurde er kurz vor Tagesanbruch von einem privaten Wachmann aus dem Schlaf gerissen und, als er keinen Fahrschein vorzeigen konnte, mit der restlichen gemischtrassigen Schar von Stadtstreichern und Trampern auf die Straße gescheucht. Er gab einen Teil seines Geldes in einer rund um die Uhr geöffneten Spirituosenhandlung für eine Plastikflasche Mountain Rose aus, teils zur Bekämpfung des zutiefst unvertrauten Gefühls, in der Nacht davor zuviel Bier getrunken zu haben, teils als Hilfe zum Nachdenken.
    Das Nachdenken endete in einem Nickerchen auf einer Parkbank. Als er aufwachte, stand bereits die Morgensonne am Himmel und die Welt war unangenehm hell geworden. Er blieb ein Weilchen sitzen, betrachtete Passanten, von denen keiner seinen Blick erwiderte, und wischte sich den klebrigen Sabber ab, der sich irgendwie an seinem Kinn gesammelt hatte. Dann beschloß er, sich auf die Socken zu machen. Man konnte nicht wissen, wann Renie aus diesem Ding herauskam und fuchsteufelswild wurde, falls er noch nicht zurück war.
    Er begab sich abermals zu dem vergitterten Kiosk, der an der Seite der Spirituosenhandlung aufragte wie ein Gefechtsturm, und schob ein paar Scheine durch den Schlitz im Tausch für eine weitere Flasche Mountain Rose. Mit dem verbliebenen Geld hätte er gerade noch ein paar Kilometer mit dem Bus fahren können – viel zu kurz, um ihm irgend etwas zu nützen. Er trank ein paar Schlucke Wein, dann drückte er mit übermenschlicher Selbstbeherrschung den Pfropfen zu, schob sich die Flasche in die Tasche und marschierte mit überaus kontrolliert gesetzten Schritten zur Fernstraße zurück.
    Zum dritten und letzten Mal an dem Tag fuhr er auf der Ladefläche eine Obstlasters mit. Eingezwängt zwischen hohen Stapeln sorgfältig verpackter und eingekisteter Treibhausfrüchte sah er Durban vor

Weitere Kostenlose Bücher