Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer
sich auftauchen, eine geballte Masse hoher Rechtecke, die die Küstenlinie von Natal überragten. Jetzt konnte er sich eine Busfahrt an jedes beliebige Ziel im Stadtgebiet leisten. Er spielte mit dem Gedanken, zu der Unterkunft zurückzukehren, wo er und Renie vorher gewohnt hatten, und welche von seinen Kumpanen aufzutreiben, Walter oder wer sonst gerade da war, und sie mit ins Krankenhaus zu nehmen, aber Renie hatte keinen Zweifel daran gelassen, daß die Unterkunft nicht mehr sicher war, und das letzte, was Long Joseph wollte, war, in Schwierigkeiten zu geraten und sich hinterher von Renie sagen lassen zu müssen, er sei genauso ein dummer alter Mann, wie sie immer gedacht habe.
Der Gedanke, die Schwierigkeiten könnten solcherart sein, daß er sie gar nicht lange genug überlebte, um noch von seiner Tochter angeschrien zu werden, kam ihm erst später.
Er war vielleicht ein dutzendmal in zwei Stunden zwischen der Bushaltestelle und dem Haupteingang des Klinikums Durban Outskirt hin- und herspaziert. Erst als er vor dem Krankenhaus ausgestiegen war, hatte er sich an Renies Bemerkung erinnert, es gebe eine Quarantäne, und auch wenn er das Gebäude noch so lange beobachtete, schien tatsächlich niemand anders als Ärzte und Pflegepersonal hineinzugehen oder herauszukommen. Es standen sogar Wachen vor der Tür, private Sicherheitskräfte in gepolsterten schwarzen Feuerwehranzügen, die Art von Muskelprotzen, mit denen sich selbst der verrückteste Betrunkene nicht anlegte. Und obwohl seine rechthaberische Tochter ihn womöglich für betrunken gehalten hätte, wußte Long Joseph, daß er nicht verrückt war.
Er hatte den Wein vielleicht halb ausgetrunken, aber der Rest schwappte noch in der eingesteckten Flasche als Zeugnis für seine Vernunft und seine mannhafte Selbstbezähmung. Es waren an dem Abend noch andere Leute vor dem Krankenhaus auf der Straße, daher wußte er, daß er sich nicht verdächtig machte. Aber darüber hinaus stand er gewissermaßen vor einer kahlen Mauer in seinem Kopf, einem großen, harten Hindernis, das ihn davon abhielt, irgend etwas anderes zu tun. Wie konnte er seinen Sohn besuchen, wenn eine Quarantäne war? Und wenn er ihn nicht besuchen konnte, was dann? Umkehren und vor diesem weibischen Jeremiah zugeben, daß das Ganze ein Fehler gewesen war? Oder schlimmer noch, umkehren und eine wache und Fragen stellende Renie antreffen und nicht einmal in der Lage sein, ihr etwas Neues über ihren Bruder mitzuteilen?
Er schlenderte von der Haltestelle zu der kleinen Baumgruppe, die ein kurzes Stück vom Eingang zum Klinikum entfernt auf einem kleinen Hügel stand. Er lehnte sich an einen Baum, tätschelte zärtlich die Plastikflasche in seiner Tasche und wartete darauf, daß ihm eine Idee kam. Die Mauer in seinem Kopf wich und wankte nicht, blieb so massiv und unnachgiebig wie die behelmten Männer vor dem Eingang. Einer von ihnen drehte seinen blanken Gesichtsschirm, der an ein Insektenauge erinnerte, kurz in seine Richtung, und Long Joseph trat zwischen die Bäume zurück.
Das hätte gerade noch gefehlt, was? Daß einer dieser hanteltrainierten Burenärsche ihn bemerkte und beschloß, dem Kaffer eine Lektion zu erteilen. Alle Gesetze der Welt konnten einen dieser privaten Schlägertypen nicht daran hindern, dir die Knochen zu brechen – das war es, was faul war in diesem Land.
Er hatte gerade eine sicherere Stelle tief im Schatten der Bäume gefunden, als eine Hand sich über seinen Mund legte. Er spürte etwas Hartes in seinem Rücken, das schmerzhaft zwischen zwei Wirbel drückte.
Die Stimme war ein rauhes Flüstern. »Keinen Laut, klar?«
Long Joseph fielen fast die Augen aus dem Kopf, und er starrte die Wachmänner an und wünschte sich jetzt, sie könnten ihn sehen, aber er war zu weit weg, im Dunkeln nicht zu erkennen. Das harte Ding knuffte ihn abermals.
»Hinter dir steht ein Auto. Wir werden uns jetzt umdrehen und hingehen, und dann wirst du einsteigen, und wenn du eine falsche Bewegung machst, puste ich deine Eingeweide über den ganzen Bürgersteig.«
Mit weichen Knien ließ Long Joseph Sulaweyo sich umdrehen, so daß er zum anderen Ende der Baumgruppe hinausblickte. Eine schwarze Limousine, durch das Gehölz vom Klinikum aus nicht zu sehen, stand mit offener Tür wartend am Straßenrand, im Innern dunkel wie ein Grab.
»Ich nehm jetzt die Hand von deinem Mund«, sagte die Stimme. »Aber wenn du nur laut schnaufst, bist du tot.«
Er konnte den Mann, der ihn bedrohte,
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