Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer
Stückchen die Straße hinauf, mit stampfenden Schritten, um warm zu bleiben.
Renie hatte keine Ahnung, wie schlau er war – sie meinte, er wäre ein alter Depp, wie alle Kinder es von ihren Vätern dachten. Aber er würde unten bei Stephen in Durban und wieder zurück sein, bevor sie überhaupt merkte, daß er weg war. Und was scherte sie das schon groß? Würde sie vielleicht ängstlich auf seine Rückkehr warten? Renie hatte ihn alleingelassen, genau wie ihre Mutter und ihr Bruder. Wenn es nach ihnen ging, sollte er bloß rumsitzen und warten. Als ob er kein eigenes Leben hätte.
Er spähte die leere Bergstraße hinauf, dann in die andere Richtung, als ob bei genauerem Hinschauen ein Bus zum Vorschein kommen könnte, den er irgendwie übersehen hätte.
Das Licht war fast ganz verschwunden. Joseph stampfte schon so lange und so fest vor sich hin, daß er nicht mehr sagen konnte, was schlimmer war, die Kälte in seinen Zehen oder die Schmerzen in seinen Füßen vom Trampeln auf der Straße. Nur zwei Autos und ein Lastwagen waren vorbeigekommen, und obwohl alle den Mann am Rand der hohen Gebirgsstraße verwundert angeschaut hatten, war keiner von ihnen auch nur vom Gas gegangen. Allmählich wurde sein Atem sichtbar, ein kreideweißer Schleier, der jedesmal einen Augenblick vor seinem Gesicht hängenblieb, bevor der Wind ihn verwehte.
Er sann gerade darüber nach, ob er sich irgendwo im Gebüsch, wo er aus den frostigen Fallwinden heraus war, eine Lagerstatt bereiten sollte, als weiter oben um die Kurve des Hügels ein kleiner Laster kam, dessen Scheinwerfer überraschend hell durch die Abenddämmerung schnitten. Ohne zu denken, stellte sich Joseph mitten auf die Straße und schwenkte die Arme. Einen Augenblick lang sah es so aus, als hätte der Fahrer ihn nicht rechtzeitig gesehen – in einer kurz aufblitzenden Vision sah Long Joseph seinen Körper überfahren und unbeachtet in den Büschen liegen wie einen toten Townshiphund –, aber da drehten die Lichter ruckartig zum Straßenrand ab, und der Laster blieb mit quietschenden, kieselspritzenden Reifen stehen. Der Fahrer, ein stämmiger weißer Mann in einer blankgewetzten Jacke, sprang heraus.
»Hast du noch alle Tassen im Schrank, du verrückter Knallkopf?«
Joseph zuckte bei dem Afrikaanderakzent zusammen, aber er war zu durchgefroren, um wählerisch zu sein. »Kannst du mich mitnehmen?«
Der Fahrer musterte ihn, dann schaute er sich um, ob Long Joseph womöglich Spießgesellen hatte, die nur darauf lauerten, hervorzuspringen und seinen Laster zu entführen oder vielleicht noch Schlimmeres zu tun. »Ach? Wo hast du dein Auto?«
Long Joseph durchfuhr es siedend heiß, als ihm klar wurde, daß er sich keine Geschichte ausgedacht hatte, um zu erklären, was er hier auf dieser einsamen Gebirgsstraße machte. Diese Militärbasis – darüber mußte er unbedingt den Mund halten, nicht wahr?
Beunruhigt durch das Schweigen trat der Fahrer einen Schritt zu seinem Laster zurück. »Wie bist du dann hierhergekommen?«
Plötzlich fiel Joseph ein Vorfall aus seiner Jugend ein, ein Segen, wie von Gott per Eilboten geschickt. »Bin mit so einem mitgefahren«, erzählte er dem Fahrer. »Aber dann ham wir uns in die Wolle gekriegt. Gestritten, mein ich. Da hat er mich rausgeschmissen.«
»Ach?« Der Fahrer war immer noch mißtrauisch. »Worüber habt ihr euch denn gestritten?«
»Ich hab ihm gesagt, Rugby wär Schwachsinn.«
Da lachte der andere Mann tief und glucksend los. »Heilandsack! Na, ich finde auch, daß du Kak im Kopf hast, aber das ist noch kein Grund, einen erfrieren zu lassen. Steig ein. Du bist also kein entlaufener Mörder oder so?«
Long Joseph hauchte sich in die Hände und eilte zum Wagen. »Nö. Ich hätt bloß fast mal meinen Schwager umgebracht, als er mein Auto zu Schrott gefahren hat.« Eigentlich waren sie deswegen aufeinander losgegangen, weil Joseph das Auto des Schwagers zu Schrott gefahren hatte, aber andersherum hörte es sich besser an.
»Alles klar, Mann. Ich hätte meinen auch fast mal umgebracht. Vielleicht mach ich’s irgendwann noch.«
Der Fahrer hieß Antonin Haaksbergen, und obwohl er unbestreitbar ein Afrikaanderschwein und daher nach Sulaweyos Gesetz automatisch als gemeiner und hinterhältiger Heuchler überführt war, mußte Long Joseph zugeben, daß ihm mildernde Umstände nicht von vornherein abgesprochen werden konnten. Zum einen hatte sein kleiner Lastwagen eine sehr gute Heizung. Zum anderen stellte er nicht
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