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Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Titel: Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Osiris zum Herrn der beiden Länder und erklärte sich auch zum König der Toten, so daß Seths Leichnam in seine Obhut gegeben wurde. Der Enkel des Osiris – manche sagen sogar, sein Sohn –, Anubis, der Schakalköpfige, stieg auf zum obersten Vollstrecker des Willens des Osiris, und ihm übertrug der Herr über Leben und Tod die Aufgaben, die einst meine gewesen waren, nämlich die Toten auf ihrer Fahrt in den seligen Schoß des Re zu schützen, was wir ›Die Riten des Herausgehens am Tage‹ nennen.« Der Wolfgott hielt inne und schüttelte abermals den Kopf; in seine Augen trat ein Funkeln, das so gar nicht zu seinen nächsten Worten paßte. »Aber Upuaut war nicht bitter, obwohl Upuauts Opfer getilgt wurden, zugleich all seine Pflichten und Ehren und Titel, bis es wenig mehr war als einer von vielen Dienern in den Palästen der Toten, mit wenigen eigenen Verehrern und Häusern. Doch dann begannen andere Diener des Osiris, die noch unter dem Anubis standen, Upuaut zu quälen. Tefi und Mewat hießen sie, von manchen auch ›die Zwillinge‹ genannt, und sie waren nicht einmal Götter, sondern Geister der finstersten Sorte, Dämonen aus der Unterwelt. Aber sie waren Günstlinge des Osiris, und sie nahmen, was sie wollten, ohne etwas zurückzugeben.
    Sie stahlen Upuaut die letzten Wahrzeichen seiner Gottheit, Upuauts letzten Tempel, seine letzten paar Priester. Sie zerstörten jene Stätte der Anbetung, warfen Upuauts Standarten in den Staub, zerbrachen Upuauts Rüstung und Wagen, traten alles in den Schmutz, und aus keinem anderen Grund, als daß Upuaut jetzt in der Gunst ihres Herrn schwach war und sie darin stark waren.
    Als sich Upuaut, der einst über das Reich der Toten geherrscht hatte, zu Osiris begab und sich ausbat, die Diener des Gottes möchten gezügelt werden, ihm möge eine Entschädigung gewährt werden, da zürnte Osiris. ›Wie kannst du es wagen, vor mich zu treten und mir zu sagen, was dir zusteht?‹ sagte er und wuchs dabei an Macht und Größe, bis seine Krone an die Decke seines Thronsaales stieß, und in seinen Augen loderte Feuer. ›Wer bist du? Was bist du? Du bist kein Gott mehr. Du bist sogar noch weniger als ein sterblicher Mensch. Geh in das rote Land, und lebe wie ein Tier.‹ Also ward Upuaut verbannt. Und der Herr über Leben und Tod tat kund, falls es sich etwas anderes nennen sollte als ein Tier, so werde selbst das Leben, das es hat, ausgelöscht, und es werde für alle Zeit in der Großen Dunkelheit piepsen und flattern.«
    Wut und Verzweiflung ließen Upuauts Stimme erzittern. Die großen bernsteingelben Augen schlossen sich, und der Wolfskopf sank ihm auf die Brust. Orlando, der gerade den Kahn von einer Sandbank herunterschob, verspürte genug Mitgefühl, um es ein bißchen weniger als vor der Geschichte übelzunehmen, daß er das Boot führen mußte, aber er hatte auch den Eindruck, daß der ehemalige Herr des Westens einen gewissen Hang zur Melodramatik hatte. Aber wie dem auch sein mochte, es war bestimmt kein Klacks, seine Göttlichkeit zu verlieren.
    Als wären ihm ähnliche Gedanken durch den Kopf gegangen, sagte Fredericks leise: »Das ist vielleicht ein bißchen so, wie es für dich war, als Thargor getötet wurde.«
    Es gibt andere drohende Verluste, die mir sehr viel mehr Sorgen machen als der von Thargor, dachte Orlando, aber sagte nichts. Während der Wolfgott seine Klauenhände zu Fäusten ballte und wieder löste und dazu leise, selbstmitleidige Töne von sich gab, wandte Orlando seine Aufmerksamkeit erneut dem breiten Fluß und der scheinbar unendlichen Wüste zu.
     
    Upuaut hörte schließlich auf, sich in seinem Elend zu suhlen, und den Rest des langen, heißen Tages über ergötzte er sie mit Geschichten über seine Zeit als Gott, die sich wenigstens zur Hälfte um seine ständigen Kämpfe mit der Erzschlange Apep drehten, dem Ungeheuer, dessen Lebenssinn offenbar in seinem täglich neu unternommenen Versuch bestand, den Sonnengott Re und seine Himmelsbarke zu verschlingen. Wenn Upuaut gerade einmal nicht damit beschäftigt gewesen war, Speere auf Apep zu schleudern, hatte er allem Anschein nach ein nicht endenwollendes Aufgebot holder Weiblichkeit beglückt, Göttinnen ebenso wie sterbliche Priesterinnen. Die ersten paar Beschreibungen dieser eigentümlichen Andachtsübungen reizten noch Orlandos pubertäre Neugier, und der fortwährende Gebrauch der Wendung »es enthüllte ihr seine strahlende Gottheit« besaß einen gewissen Heiterkeitswert, doch

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