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Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Titel: Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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autorisiert zu erklären. Was es sagte, verblüffte Ramsey dermaßen, daß er die alberne Stimme und die seltsamen Umstände völlig vergaß.
    »Ich geh ihn fragen. Bin gleich wieder da.«
    Damit brach der Agent die Verbindung ab. Die Leitung ins Leere war ein gerissener Faden.
    Ramsey legte sich wieder hin und war völlig durcheinander. Ihn fragen? Wen? Orlando? War der kleine Softwareagent irgendwie verrückt geworden? Kam das bei Gear vor? Oder war etwas ganz anderes gemeint, das er nicht verstand?
    Er lag lange im Dunkeln wach, während sich in seinem Gehirn lautstark die Zweifel meldeten. Schließlich stand er auf und schmierte sich ein Brot, nahm die lauwarme Milch, die er am Abend versehentlich auf der Arbeitsplatte hatte stehen lassen, und begab sich in sein Wohnzimmer, um zu essen, seine Notizen anzugucken und zu warten.
     
    Als Annelieses körperlose Stimme den Anruf meldete, riß sie ihn aus einem Halbschlummer. Sein Stapel Papiere – eine altmodische Angewohnheit, die Ramsey von seinem Vater übernommen und niemals abgelegt hatte – rutschte mit einem trockenen Klatschen auf den Teppich.
    »Ein Anruf für dich«, mahnte ihn Anneliese, während er nach seinen Papieren haschte, und klang dabei regelrecht enttäuscht über seine trödelige Reaktion.
    Diese Dinge, diese Maschinen, dachte er – was würden wir ohne sie anfangen? Wenn sie die richtigen Menschen am anderen Ende ganz ablösten, wie lange würde es dauern, bis es einem von uns auffiele? Eine wahrscheinlichere, aber durchaus nicht erfreulichere Möglichkeit war, daß seine ehemalige Assistentin starb, ohne daß er davon erfuhr. Was dann? Ihre Stimme würde ihn weiterhin aufwecken, aber gewissermaßen aus dem Grab heraus.
    »Annehmen«, sagte er scharf, als er seine Zettel eingesammelt hatte, verärgert über sich selbst, aber auch voll wirrer Vorahnungen, als ob er gar nicht ganz aus seinem Traum von vorher aufgewacht wäre.
    »Ist okay, ich kann mit dir reden«, erklärte ihm die Taxifahrerstimme ohne einleitende Worte. »Aber glaub ja nicht, daß du alles kriegst – kriegste nämlich nicht.«
    »Beezle, mit wem hast du gerade gesprochen?«
    »Mit Orlando.« Der Agent sprach den Namen mit ruhiger Selbstsicherheit aus.
    »Aber er liegt im Koma!«
    Mit knappen, aber verdächtig nach Stolz klingenden Worten klärte Beezle Bug ihn über seine mitternächtlichen Expeditionen und seine heimlichen Unterredungen mit seinem Herrn auf. »Aber das klappt nur in bestimmten Phasen von seinem Schlafzyklus«, fuhr er fort. »Quasi wie ’ne Trägerschwingung, weißte?«
    Ramsey erkannte, daß er damit vor seinem ersten größeren moralischen Dilemma stand. Wenn das stimmte, sollten Orlandos Eltern davon in Kenntnis gesetzt werden. Ihnen eine Kommunikationsmöglichkeit mit ihrem komatösen Kind zu verschweigen, würde nicht nur seinem Berufsethos widersprechen, sondern wäre auch unmenschlich grausam. Doch selbst wenn er einem Konstrukt aus Code mehr glauben konnte als allen Ärzten, war die Entscheidung immer noch nicht einfach. Olga Pirofskys Geschichte hatte Catur Ramsey in den letzten paar Tagen auf einige beunruhigende Fährten gesetzt, und so langsam gruselte er sich ein wenig bei dem Gedanken, wo er da hineingeschliddert war. Wenn sein Verdacht begründet war, dann brachte alles, was die allgemein geteilte Auffassung ankratzte, Orlando Gardiner und Salome Fredericks könnten von nichts und niemandem erreicht werden, sie und ihre Familien ganz real in große Gefahr.
    Er wog das Problem ab und kam zu dem Schluß, daß er eine solche Entscheidung nicht mitten in der Nacht treffen sollte, zumal wenn er nur zwei oder drei Stunden geschlafen hatte.
    »Okay, ich glaube dir«, sagte er laut. Sein Lachen war unsicher. Ich rede mit einem erfundenen Cartoonkäfer, dachte er. Der mein einziger Kontakt zum Zeugen eines fortdauernden Verbrechens ist, das praktisch auf Massenmord hinausläuft. Ach ja, und dieser Zeuge ist im Grunde so gut wie tot. »Ich glaube dir. Millionen andere würden es nicht tun. Also, reden wir.«
    Und irgendwo in der ortlosen Dunkelheit, in den Stunden, in denen die meisten Leute durch die entlegensten Traumkorridore wandelten, redeten sie.
     
     
    > Dulcy stellte das Schleifenprogramm an und ließ den Sim schlafen – oder vielmehr Schlaf fingieren –, dann machte sie sich zum Rücksprung bereit. Das Zucken und unruhige Atmen des unbewohnten Körpers spiegelte ihr eigenes Unwohlsein wider, so als hätte sich das Werkzeug einige der

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