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Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Titel: Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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denselben Fehler begehen?
    Aber natürlich war die Erregung echter Gefahr daran schuld gewesen, daß sie ihren alten Job als internationale Finanzexpertin an den Nagel gehängt hatte und – vermittelt über einen befreundeten Financier, der gern ein wenig mit brandheißen Sachen herumspielte, aber letztlich doch Angst hatte, sich die Finger zu verbrennen – in die Welt der dunklen Geschäfte eingestiegen war. Es gab immer noch einen Teil von ihr, der danach lechzte, eines Tages zum Jahrestreffen ihrer alten Highschoolklasse zu gehen und den ganzen Mädels, die sie immer »Dulcy Android« und »Gearhead« genannt hatten, die Wahrheit darüber zu erzählen, wohin das Leben sie geführt hatte. »Was ich beruflich mache?« würde sie sagen. »Och, Regierungen stürzen, Waffen und Drogen schmuggeln, was man halt so macht…« Aber das waren leere Phantasien. Selbst wenn sie ihr das abnahmen, würden sie es doch nie verstehen, diese ehemaligen Cheerleader und stolzen Elternbeiratsvorsitzenden, die sich schon unglaublich verrucht vorkamen, wenn sie ihre Steuererklärungen fälschten oder eine belanglose Affäre mit dem Poolreiniger hatten. Sie würden niemals das geile Schwindelgefühl verstehen, den Rausch des ganz großen Dings, das Spiel mit der Angst, ohne Netz und doppelten Boden. Und sie, Dulcinea Anwin – dieselbe kleine Dulcy Android mit ihren Mathebüchern und ihrer Brille und ihrer Stoppelfrisur nach der Vorjahrsmode –, war jetzt ganz dick drin.
    Es läutete, und gleich darauf erschien Dread in der Mitte des Büros. Sein Sim war schwarz gekleidet, wie er es bevorzugte, schwarzes Hemd und schwarze Hose, und sein Haar war zu einem Pferdeschwanz zurückgebunden, der auf dem Rücken farblich mit dem Hemd verschmolz. Er deutete eine Verbeugung an. Dulcy fragte sich unwillkürlich, wie genau die schlanke, aber muskulöse Statur des Sims seine RL-Gestalt nachahmte. Er war nicht größer als sie, vielleicht sogar ein wenig kleiner, wobei er das ohne weiteres an seinem Sim hätte korrigieren können, wenn es ihm wichtig gewesen wäre. Es gefiel ihr, daß das nicht der Fall war.
    »Schlafen gegangen?« fragte er. Er strahlte, schien von freudigen Geheimnissen zu strotzen.
    »Ja. Ein paar von ihnen unterhalten sich noch, aber wenigstens eine andere Person schlief auch schon, da dachte ich, es ist okay, wenn ich mich offline schleiche und die Aufzeichnungen aktualisiere. Es war ein ereignisreicher Tag im Land der fliegenden Höhlenmenschen.«
    »Aha.« Er nickte beinahe zu ernst, als wollte er gleich einen Witz erzählen. »Immer noch diese Entführungsgeschichte? Nichts Neues?«
    »Nicht so richtig. Sie werden immer noch festgehalten – es soll eine Art Stammesversammlung oder so stattfinden, auf der das Verbrechen beraten werden soll.« Sie wurde heute nicht recht schlau aus ihm. Irgend etwas kochte er aus – sogar sein Sim schien vor Hochspannung zu knistern. »Du wirkst sehr fröhlich. Hat es irgendwelche guten Neuigkeiten gegeben?«
    »Was …? Nein. Ich denke, ich bin einfach guter Laune.« Ein haifischartiges Grinsen ließ seine weißen Zähne blitzen. »Aber du siehst echt gut aus, Dulcy. Ist das ein Echtzeitsim, oder hast du ihn ein bißchen nachgeformt?«
    Sie blickte rasch an ihrem virtuellen Körper hinab, ehe ihr klar wurde, daß er sie aufzog. »Echtzeit, und das weißt du verdammt gut. Mein normales Alltagsich.« Selbst die Art, wie er sie wohlgefällig betrachtete, war sonderbar – raubtierartig begehrlich und doch gleichzeitig irgendwie asexuell, wie ein Sultan mit hundert Frauen, der überlegt, ob er ein junges Adelsfräulein mit guten Verbindungen zu seiner hundertundersten nehmen soll. Wieder wurde sie von gegensätzlichen Impulsen hin- und hergerissen: dem Bedürfnis, Abstand zwischen sich und diesem Mann zu schaffen, und der unwiderstehlichen Faszination, die er auf sie ausübte.
    Verknallt wie ein Schulmädchen, dachte sie halb amüsiert und halb angewidert. Du bist schon immer auf die Bösis geflogen, Anwin.
    »Nun gut, ich bin sicher, du hast allerhand zu tun«, sagte er unvermittelt, beinahe wegwerfend. »Deine Katze füttern, was weiß ich. Und ich sollte zusehen, daß ich was getan kriege.« Er hielt die Hand hoch, um ihrer nächsten Bemerkung zuvorzukommen. »Ich schau mir die Einträge an, wenn ich drin bin.« Er besann sich kurz. »Weißt du was, du hast in letzter Zeit wirklich hart ran gemußt. Wie wär’s, wenn du vierundzwanzig Stunden Urlaub einschiebst? Ach was, lieber

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