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Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Titel: Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Palme schwankte in dem zunehmenden Wind, der über die düster werdende Wüste blies. Orlando zögerte. Er war sich nicht sicher, was eigentlich los war, aber hatte er nicht Feinde? Konnte es sein, daß sie ihn irgendwie drankriegen wollten?
    »Boß? Ich werd dich jeden Moment verlieren. Sag mir, was ich machen soll.«
    Orlando beobachtete, wie das kleine dunkle Ding hektisch zwischen den Palmwedeln herumturnte. Es war sicher einfacher, nichts zu tun. Bestimmt kamen bald die Wolken und überzogen alles, und dann hatte das Ganze sowieso nichts zu bedeuten …
    »Sag ja«, meldete sich eine neue Stimme. Sie kam nirgendwoher, aber sie war so deutlich wie Beezles – eine Frauenstimme, die er kannte, obwohl er nicht sagen konnte, woher. »Sag ja«, beschwor sie ihn wieder. »Bitte um Hilfe. Bevor die Chance vorbei ist.«
    Die Worte der Frau drangen durch alle Traumschleier hindurch, die ihn jetzt wirbelnd umhüllten, alles trübten, ihn zudeckten, abschnitten. Sie klang freundlich. Und sie klang traurig und besorgt.
    Er zwang sich zur Konzentration. »Was … was soll ich sagen, Beezle?«
    »Du mußt mir sagen: ›Ramsey kann die Dateien sehen‹, okay?« Beezles Stimme war kaum noch zu verstehen, aber die Dringlichkeit war unverkennbar. »Bitte, Boß…!«
    »Na gut, Ramsey kann die Dateien sehen.« Der Wind war so laut, daß er sich selbst fast nicht hören konnte. »Ramsey kann die Dateien sehen!« schrie er, aber er wußte nicht, ob es etwas ausgemacht hatte. Die vielbeinige Gestalt in den Palmzweigen war fort. Eine Wolke hatte den ganzen Himmel verdüstert und legte sich jetzt langsam auf ihn, bedeckte den Baum, bedeckte Orlando, bedeckte alles.
    Er erhaschte einen flüchtigen Blick auf die Gestalt einer Frau – ein kurzes Aufleuchten wie das Entzünden einer Flamme. Sie hielt etwas in der Hand, als wollte sie es ihm reichen. Dann trieben die Wolken davor und bedeckten auch sie.
     
    »Mensch, Gardiner, wach auf!« Fredericks schüttelte ihn. Seine Stimme klang leise, wie aus weiter Ferne. »Ein Sandsturm kommt. Mach schon, wach auf!«
    Orlando konnte seinen Freund kaum sehen. Sie schienen sich mitten in einer Visualisierung des reinsten weißen Rauschens zu befinden. Sand peitschte aus allen Richtungen auf ihn ein, flog ihm in Augen, Nase und Mund. Orlando spuckte feuchten Staub und schrie: »Wir müssen in Deckung gehen! Zum Fluß!«
    Fredericks schrie etwas zurück, aber Orlando hörte nichts. Er packte seinen Freund am Ärmel, um ihn zum Nil zu zerren, und zusammen lehnten sie sich in den mörderischen Wind und stürzten dann kopfüber hin, als er die Richtung wechselte und sie von hinten stieß. Sie waren nur wenige Schritte vom Fluß entfernt losgegangen, aber als sie nach ein oder zwei Minuten immer noch nichts unter den Füßen spürten als wegrutschenden Dünensand, wußte Orlando, daß sie die falsche Richtung eingeschlagen hatten.
    Er hatte sein improvisiertes Kefije so fest vors Gesicht gezogen, daß er kaum atmen konnte, aber ohne Augenschutz wäre er schon nach wenigen Sekunden blind gewesen. Das brachte nichts, begriff er – wenn sie weitergingen, konnte es sein, daß sie völlig vom Fluß abkamen. Er faßte Fredericks an den Schultern, drehte ihn zu sich herum und preßte seine Stirn an die seines Freundes, damit der ihn über das Brüllen des Windes hinweg verstehen konnte.
    »Wir haben den Fluß verfehlt!« schrie er. »Wir müssen anhalten und warten, bis es vorbei ist!«
    »Ich … ich krieg keine Luft!«
    »Zieh dir deine Kapuze vor den Mund!« Orlando ließ sein eigenes flatterndes Kopftuch einen Moment los, um ihm zu helfen. »Halt sie so, und laß die Augen zu! Dann kriegst du trotzdem noch Luft!«
    Fredericks sagte etwas, das völlig vom Wind und von seiner Kapuze erstickt wurde. Es hätte »Ich hab Angst« gewesen sein können, dachte Orlando. Er fiel auf die Knie und zog Fredericks mit, dann umklammerte er ihn und drückte die Stirn seines Freundes fest an seinen Hals, wobei er zu kämpfen hatte, um von dem wütenden Sturm und den nadelscharfen Sandkörnchen nicht umgepustet zu werden.
    Es schienen Stunden zu sein, die sie in dieser unbequemen Vierbeinerhaltung verbrachten, mit panischer Verbissenheit ineinander verkrallt, einer das Gesicht an die Schulter des anderen gepreßt. Der Sand fühlte sich wie ein Schrothagel an und brannte wie Steinsalz, wo er auf nacktes Fleisch traf. Der Wind hörte nicht auf zu heulen; Orlando meinte Stimmen darin zu hören, verdammte Geister und verlorene

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