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Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Titel: Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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schließlich ein weiteres Mal hinter den Bergen im Westen verschwand und sie ihren Marsch fortsetzen konnten.
    Sie kamen in dieser zweiten Nacht ein kleines bißchen zügiger voran, wenn auch nur, weil sie besser ausgeruht waren, aber es war dennoch ein ödes, freudloses Stapfen. Die Sterne zeigten zwar eine gewisse Lebendigkeit, die sie im RL nicht besaßen – zeitweise schienen sich die Konstellationen fast zu bewegten Figuren von Menschen und Tieren anzuordnen –, aber dennoch waren sie nur unendlich ferne Pünktchen, und eine nächtliche Wüste war nicht spannender als eine am Tage. Irgendwann nach Mitternacht fing Fredericks an, ein gräßliches Sommerfreizeitlied zu singen, dessen Clou darin bestand, daß man bei jedem Vers dem Inhalt eines Koffers ein neues Stück hinzufügte und danach die ganze Liste von Anfang bis Ende herunterleierte, und als er schließlich einen Blitzableiter, alte Socken, einen Wegbegleiter, Roll’n’Rock’n, grünen Eiter, Kartoffelnocken, eine Hühnerleiter, Gonokken, Cola Lighter, Haferflocken, einen Hanggleiter und Windpocken beisammen hatte, war Orlando drauf und dran, seinen widerlichen idiotischen trällernden Wegbegleiter zu ermorden und die Leiche im allgegenwärtigen Sand zu verscharren. Sein verzweifelter Schrei beendete die Litanei.
    Fredericks zog die Brauen hoch. »Was ist dir denn über die Leber gelaufen, du Oberscänner?«
    »Könntest du vielleicht was anderes machen, als dieses Lied singen?«
    »Nämlich was?«
    »Was weiß ich. Sprich mit mir. Erzähl mir was.«
    Fredericks stampfte eine Weile schweigend neben ihm her. Der Sand knirschte unter ihren Füßen. »Und was zum Beispiel?«
    Orlando gab einen genervten Ton von sich. »Was über deine Schule, über deine Familie, irgendwas – wenn du bloß nicht mehr singst. Was machst du, wenn du nicht im Netz bist? Mädchensachen? Jungssachen?«
    Fredericks runzelte die Stirn. »Ist das wieder eins von deinen Wie-bist-du-wirklich-Gesprächen, Gardiner?«
    »Nein. Aber wenn ich ein Mädchen wär, das so tut, als wär sie ein Junge, dann würdest du garantiert wissen wollen, wieso ich das mache, stimmt’s?« Er wartete auf eine Antwort, doch es schien keine zu kommen. »Etwa nicht?«
    »Kann sein.« Fredericks warf ihm einen kurzen Blick zu und wandte sich dann wieder seiner Betrachtung der kahlen Dünen zu. »Ich weiß nicht, Orlando. Was ich mache? Halt… so Sachen. Ich spiel Fußball. Ich dödel rum. Früher hab ich ständig BlueBlazes Collective gespielt…«
    »Ich hab gesagt, wenn du nicht am Netz hängst.«
    »Nicht viel. Deswegen häng ich ja reichlich am Netz. Die Kids in meiner Schule haben’s alle mit Sex und so. Lassen im Klo Charger rumgehen. Machen ultrascheußliche Interaktivspiele. Reden über die Partys, die sie feiern wollen, wenn ihre Eltern mal länger wegfahren. Und sie hören sich diese ganze voll absackige Musik an. Ich find’s einfach … doof. Sie lesen rein gar nichts – nicht mal soviel wie ich!« Fredericks schnitt eine Grimasse: Es gab ein ständiges Gefrotzel zwischen ihnen, weil Fredericks der Meinung war, nur ein Mutant könne soviel Text lesen wie Orlando. »Sie reden nur belanglosen Quatsch.«
    Für Orlando, dessen wenige Offline-Bekannte andere chronische Patienten waren, mit denen er sich im Krankenhaus zu Selbsthilfegruppen getroffen hatte, war das eine Palette von Angeboten, die so wild und faszinierend war wie das Jetset-Leben eines internationalen Meisterspions, aber er bemühte sich, mitfühlende Töne von sich zu geben.
    »Deswegen bist du vermutlich mein bester Freund«, fuhr Fredericks fort. »Du warst einfach interessanter als diese ganzen gedumpften Schwachköpfe, obwohl ich dich nicht persönlich kannte.« Fredericks ging eine Weile vor sich hin, bevor er hinzufügte: »Klar, wenn ich gewußt hätte, daß ich in sowas wie hier landen würde, hätte ich mir wahrscheinlich lieber T2-Charger mit Petronella Blankenship reingezogen.«
    Es war als Witz gemeint, aber in ihrer Situation, umgeben von Meilen und Abermeilen nackten, mondsilbrigen Sandes, besaß die Bemerkung eine gewisse Spitze.
     
    Kurz nach Tagesanbruch ließen sie sich in einer winzigen Oase nieder, die aus einigen Dattelpalmen und ein paar niedrigen, struppigen Sträuchern bestand. Während die Farbe des Nils allmählich von Schwarz in Stahlblau überging, schmiegten sie sich an die Westseite einer umgestürzten Palme und schliefen sofort ein. Sie wurden gegen Mittag vom nächsten Sandsturm geweckt, der sie

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