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Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Titel: Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Seelen, die wie verlassene Kinder klagten. An einem Punkt hörte er sogar die Stimme seiner Mutter, die ihn weinend nach Hause zu rufen versuchte. Er hielt sich an Fredericks fest und sagte sich, es sei alles imaginär, denn ihm war klar, daß ein Schritt fort von seinem Freund für sie beide den Tod bedeuten konnte. Irgendwann flaute der Wind ab.
    Mit letzter Kraft schleiften sie sich zum Fluß hinunter, der nur wenige Meter entfernt war, wie sich herausstellte – vom Sand geblendet waren sie parallel zu seinem Lauf dahingestolpert. Sie wuschen sich den Staub und das Blut von ihrer abgeschürften Haut, dann krochen sie ans Ufer zurück und schliefen im vollen spätnachmittäglichen Sonnenschein ein. Orlando wurde zwischendurch gerade lange genug wach, um sich Schlamm auf die Beine zu reiben, die sich selbst bei Thargors brauner Haut langsam anfühlten, als würden sie gebraten, dann glitt er wieder in einen schwindligen und unruhigen Schlaf.
     
    »Mir tut alles weh«, stöhnte Fredericks. Die Sonne war hinter den westlichen Bergen versunken, und obwohl der Himmel dort am Horizont jetzt die gleiche spektakuläre Farbe hatte wie die Wüste, war die Hitze viel geringer. Die ersten paar Sterne schimmerten am dunkel werdenden Firmament. »Wir brauchen heute nacht eine Erholungspause, Gardiner. Ich glaube nicht, daß ich gehen kann.«
    Orlando verzog das Gesicht. Auch er war erschöpft und hatte Schmerzen in jedem Muskel und auf der ganzen Haut. Er haßte es, den Einpeitscher spielen zu müssen. »Wir können uns keine Pause leisten. Wenn wir die ganze Nacht hierbleiben, was wird dann am Morgen passieren? Die ganze Chose von vorn, nur doppelt so schlimm. Ich weiß schlicht nicht, ob ich noch einen weiteren Tag ohne Sonnenschutz durchhalte.« Der erste kühle Abendhauch – in jeder anderen Umgebung wäre er sommerlich warm gewesen – ließ sie wieder erzittern. »Auf geht’s. Komm, steh auf, oder wir sitzen megablock in der Tinte.«
    Fredericks stieß einen großen Unglücksseufzer aus, aber widersprach nicht. Mühsam und ächzend stellte er sich auf seine wackligen Beine und machte sich hinter Orlando her auf den Weg am Fluß entlang.
    »Wenn das hier nicht das wirkliche Ägypten ist, wie du sagst«, schnarrte Fredericks, nachdem eine Weile verstrichen war, »wo gehen wir dann hin?«
    »Raus.« Beim Reden platzten seine rissigen Lippen auf. Seine Beine schmerzten, sein Kopf hämmerte, und seine sonnenverbrannte, sandgestrahlte Haut fühlte sich an, als wäre sie mit einer Drahtbürste gescheuert worden. Zum erstenmal seit langer Zeit tat es genauso weh, Thargor zu sein wie Orlando Gardiner im RL. »Wir müssen einen andern Weg finden, wie wir hier rauskommen – eines dieser Tore, dieser Durchgänge.«
    »Meinst du, wir sollen den ganzen Weg bis zum Ende des Flusses laufen?« Wenn Fredericks besser in Form gewesen wäre, hätte seine Stimme vor Entrüstung gebebt. In seinem momentanen Zustand klang sie nur furchtbar niedergeschlagen.
    »Nur wenn’s sein muß. Es müßte eigentlich noch andere Ausgänge geben. Ich glaube nicht, daß die Leute, die diese Environments gebaut haben, jedesmal ganz durch sie durchmüssen.«
    Fredericks schlurfte eine Weile schweigend neben ihm her. »Es sei denn, sie können überall rein- und rausgehen, wo sie wollen. Einfach weil sie Mitglieder sind oder so.«
    Orlando schob diese deprimierende Möglichkeit weit von sich. Er war Renie und den anderen etwas schuldig – und Sam Fredericks auch. Er hatte nicht vor, in einer imaginären Wüste zu sterben. Seine Geschichte, was immer es damit auf sich hatte, konnte nicht so enden. Das … durfte einfach nicht sein.
    »Wir finden einen Weg hier raus.«
     
    Als der Mond bereits über den nächtlichen Himmel gewandert und untergegangen war, vielleicht eine Stunde vor dem Wiederaufgang der Sonne, stießen sie abermals auf ein Trümmerfeld, einen zyklopischen Steinhaufen auf einem Kliff über einer breiten Stelle im Fluß. Er und Fredericks fanden zwei aneinanderlehnende mächtige Felsbrocken, zwischen denen eine schmale Lücke geblieben war, und krochen zum Schlafen hinein.
    Falls Orlando geträumt hatte, konnte er sich jedenfalls an nichts mehr erinnern, als er am späten Nachmittag aufwachte. Die Sonne brannte nur wenige Zentimeter entfernt auf den Sand nieder, und sein Kopf ruhte auf Fredericks’ Bein. Nachdem sie sich im Fluß mit lauwarmem Nilwasser abgespült hatten, dösten sie noch im Schatten der Ruinen vor sich hin, bis die Sonne

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