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Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Titel: Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Vorhuttrupps flitzten voran, dann drehten sie sich um und eilten zur nächsten Ausstülpung der wimmelnden Masse zurück; unterdessen rückten andere auf dem Pfad nach, den sie gerade gebahnt hatten, und kundschafteten ihn ein Stück weiter aus, bevor sie ihrerseits zurückeilten, bis der ganze lebende Klumpen den kurz davor von der Vorhut besetzten Bereich eingenommen hatte. Auf diese Art kroch die Armee voran wie eine riesige Amöbe, ein einziges ungeheures Getümmel, das dennoch bis hinunter zu seinem letzten Teilchen tätig seine Pflicht versah, ein Heerhaufen, der für Renies derzeitige Zwergensicht mit seinen flinken Leibern ganz Durban unter sich hätte begraben können.
    »Gütiger Himmel«, flüsterte Renie. »Ich hab noch nie …« Sie verstummte wieder.
    Die Libelle kam zwischen den weiter hinten vom Schwarm umflossenen Bäumen hervor, flitzte mit abrupten Bewegungen über die Front der Kolonne und blieb wieder in der Luft stehen, damit ihre menschlichen Piloten Beobachtungen vornehmen konnten. Sie schlug mit blitzschnellem Reflex einen Haken, um einem braunweißen Vogel zu entgehen, der seinen Sturz nach unten fortsetzte und sich statt ihrer eine zappelnde Schabe schnappte.
    Der Anblick des Libellenflugzeugs nahm Renie ein bißchen etwas von ihrer Fassungslosigkeit. Es war schließlich nur eine Simulation, und auch wenn sie hier nichts weiter als ein winziges Pünktchen im Weg eines Ameisenschwarms war, hatten doch Menschen diese Simulation gebaut und konnten Menschen sie wieder sicher aus ihr herausholen.
    Der Ameisenzug hatte sich dem Fuß des Felsens, auf dem sie und !Xabbu saßen, so weit genähert, daß er nach ihren Maßstäben nur noch eine Viertelmeile entfernt war, aber die Hauptstoßrichtung der pulsierenden Vorwärtsbewegung des Schwarms schien an ihrem Standort vorbeizugehen, so daß Renie sich ein wenig entspannen und sogar das Schauspiel genießen konnte. Lenore hatte recht gehabt – es war ein überwältigender Anblick.
    »Sie sind sehr schnell, vor allem wenn wir so klein sind«, sagte eine Stimme hinter ihr. »Die Spitzen eines Raubzuges der Eciton burchelli rücken mit einer Geschwindigkeit von ungefähr zwanzig Metern in der Stunde vor.«
    Renie sprang erschrocken hoch. Einen halben Moment lang dachte sie, daß Cullen gelandet wäre und er und Lenore sich hinter ihnen angeschlichen hätten, daß sie statt der Flugmaschine aus dem Stock einer echten Libelle zugeschaut hätte, aber der weißgewandete Sim, der ein paar Schritte weiter hügelan stand, war eindeutig jemand völlig Neues.
    »Sie sind ein hypnotisierender Anblick, nicht wahr?« fragte der Fremde. Er schmunzelte im Schatten seiner Kapuze.
    »Wer bist du?«
    Der Fremde schlug die Kapuze eben lässig genug zurück, um nicht melodramatisch zu wirken, und zutage kam ein kurzgeschorener schwarzhaariger Schädel und ein runzliges asiatisches Gesicht. »Ich bin Kunohara. Aber das habt ihr wahrscheinlich schon vermutet, nicht wahr? Hin und wieder wird mein Name im Stock noch fallen, nehme ich an.« Seine Aussprache war bemüht, sein Englisch übergenau, doch ansonsten fehlerlos. Renie hatte nicht den Eindruck, daß er ein Übersetzungsgear benutzte.
    »Der Name ist gefallen, stimmt.«
    »Das hier ist deine Welt, nicht wahr?« fragte !Xabbu den unerwarteten Besucher. Renie erkannte die Anzeichen von Nervosität bei ihrem Freund, und auch ihr war der Fremde nicht geheuer. »Sie ist sehr eindrucksvoll.«
    »Die Leute vom Stock haben euch jedenfalls zu einer ihrer spektakulärsten Erscheinungen mitgenommen«, sagte Kunohara. »Der Schwarm sieht wie ein riesiger Wirrwarr aus, aber das täuscht. Seht ihr die Spinne dort?« Er deutete auf den Rand der brodelnden Masse, der ihnen am nächsten war. Eine langbeinige grüne Spinne war von einer der Ausstülpungen eingeholt worden und führte jetzt einen aussichtslosen Kampf gegen ein Trio großköpfiger Ameisen. »Sie ist an die Soldaten des Eciton-Schwarms geraten. Sie bilden die äußerste Vorhut, würde man beim Militär sagen. Sie kämpfen nur, um den Schwarm zu verteidigen – die Beute wird überwiegend von den kleinen und mittleren Arbeiterinnen gemacht. Aber seht selbst, was passiert!«
    Die Spinne war auf den Rücken geworfen worden; ihre Abwehrbewegungen wurden langsamer. Während sie noch schwach mit den Beinen strampelte, stürzte sich eine Gruppe kleinerer Ameisen auf sie. Zwei schnitten ihr mit Kiefern, die so scharf und zweckmäßig waren wie eine Gärtnerschere, den Kopf ab;

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